Sigrid Maurer machte verbale Androhung von sexualisierter Gewalt öffentlich, für manche ist das der eigentliche "Aufreger".

Foto: Christian Fischer

Eigentlich ist der Sachverhalt ganz einfach: Die ehemalige Nationalratsabgeordnete Sigi Maurer ist sexuell belästigt worden und hat dies über die sozialen Netzwerke publik gemacht. Mit Screenshot und allem, was man im Internet heutzutage dafür aufbietet. Der Beschuldigte wehrt sich jedoch mit einer wenig glaubhaften Gegendarstellung dagegen. Man könnte es dabei belassen. Allerdings würde man sich damit hinter die Tat und nicht vor das Opfer stellen. Warum das so ist?

Nehmen wir einfach mal an, es verhielte sich so wie der beschuldigte Besitzer des Shops behauptet: In seinem Laden steht ein Computer, der für diverse Personen zugänglich war. Eine dieser Personen hat sich dann irgendwie Zugriff auf den Facebook-Account des Shops verschafft und in einer recht eigenwilligen Interpunktion Nachrichten an Sigi Maurer geschrieben. In der gleichen Interpunktion hat sich der Besitzer zu einem späteren Zeitpunkt von diesen Nachrichten distanziert und die Interpunktion anschließend modifiziert, als verschiedentlich auf die frappierende Ähnlichkeit hingewiesen wird. Und dabei nicht nur übersehen, dass die Option Bearbeitungsverlauf anzeigen ein, wie ein Nutzer es ironisch formulierte, "mieser Verräter" sein kann, sondern auch dass die Homepage seines Shops ebenso gestaltet ist.

Kein Mitgefühl, keine Entschuldigung

Das ist immerhin möglich, wenn auch allem menschlichen Ermessen nach deutlich unwahrscheinlicher als die Version der Ereignisse, die Sigi Maurer präsentiert. Es ist zudem nachvollziehbar, dass der Betreffende mit solchen Vorwürfen nicht in Verbindung gebracht werden will. Ganz besonders dann, wenn seine Schilderungen zutreffen sollten.

Viel bemerkenswerter scheint mir jedoch der Umstand, dass sich nicht eine Sekunde lang bei dem Vorgang an sich aufgehalten und kein Versuch unternommen wurde, sein Mitgefühl auszudrücken oder um Entschuldigung zu bitten. So als wäre das Ganze eine Nichtigkeit, bei der die größte Gefahr darin bestünde, dass ein unbescholtener Bürger zu Unrecht verdächtigt und in die mediale Öffentlichkeit gezerrt wird. Noch einmal: Das ist durchaus möglich.Doch was ist mit "…aber da du prominent bist, ficke ich dich gerne in deinen fetten kleinen Arsch, damit dir einer abgeht, du kleine dreckige Bitch."

Sie finden vielleicht, dass ich Ihnen dieses Zitat hier nicht zumuten sollte, aber raten Sie doch mal, wem es noch zugemutet wurde. Genau, Sigi Maurer. Und zwar unabhängig davon wer letztendlich dafür verantwortlich gewesen ist. Hier geht es um die konkrete Androhung von sexualisierter Gewalt. Darüber sollten wir uns nicht hinwegtäuschen – gerade wir Männer nicht: Das ist kein blöder Spruch, zu dem Mann sich verstiegen hat, weil Mann die langen Beine einer attraktiven Frau komplimentieren wollte und nicht begreifen mochte, dass das womöglich unangebracht ist. Es lässt sich auch nicht unter dem hässlichen Euphemismus "obszöne Nachricht" subsumieren.

Neuland Internet?

Was ist mit der Verantwortung des Shopbetreibers, von dessen Rechner diese Übergriffigkeiten unstrittig an Sigi Maurer ergangen sind? Was ist mit der Verantwortung von uns allen, die wir darüber in Kenntnis gesetzt wurden? Wieso begreifen wir nicht, dass real und digital keine sich ausschließenden Begrifflichkeiten sind? Liegt es daran, dass das Internet für die Mehrheit von uns immer noch Neuland ist, oder haben wir uns vielmehr in einer Gesellschaft eingerichtet, die nicht zwischen Anzüglichkeit und Gewaltandrohung unterscheiden will und kann – zumal wenn sie gegen Frauen gerichtet sind?

"Damit hat sie einen weiteren erbärmlichen Versuch gestartet, mediale Aufmerksamkeit um ihre Person zu erregen." heißt es zu einem Kommentar von Nina Weissensteiner, in dem sie auf die Problematik der Beweisbarkeit bei sexueller Belästigung hinweist.

Andere bestehen darauf, dass Sigi Maurer sich hätte anders verhalten, darüber lachen und den Kontakt einfach blockieren sollen. Eben nicht gleich "zum digitalen Pranger greifen" und "alles künstlich aufblasen". Denn es liegt ja keine gerichtlich strafbare Handlung vor. Ich habe an dieser Stelle schon einmal über die Begriffsstutzigkeit von Männern geschrieben und meine Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht, wieso so viele von uns augenscheinlich Verwandtschaftsverhältnisse und Liebesbeziehungen als Gedankenstütze brauchen, um sich zu vergegenwärtigen, was sexualisierte Gewalt und deren Androhung bedeuten.

Aber sei es drum, es geht scheinbar nicht anders: Stellen Sie sich vor, es ist Ihre Partnerin, Schwester, Mutter, Tochter und beste Freundin, die hier verbal angegriffen wurde. Oder noch simpler: Fühlen Sie in die Situation hinein, dass diese Worte Ihnen von einem Mithäftling im Gefängnis ins Gesicht gesagt werden.

Lustig, oder? Lassen Sie uns das gemeinsam ausblenden und nicht künstlich aufblasen. Tun wir einfach weiterhin so, als sei es hinnehmbar, dass der Aufschrei eines Opfers gesellschaftlich als verstörender empfunden wird als die Tat – von wem auch immer sie begangen wurde. Tun wir so, als wäre Gewalt nicht das Problem. Sondern Sigi Maurer, wenn sie sagt: "Sich nicht zu wehren, ist keine Lösung."

(Nils Pickert, 3.6.2018)