Sie hasse Hausarbeit und Winter in der Stadt, sagt eine 45-Jährige aus Streatham anno 1941.


Foto: Camera Austria, Karina Nimmerfall

Ob sie Hausarbeit möge, wird eine 25-jährige Londonerin 1941 gefragt. "Very much", antwortet sie. Und was davon am liebsten? "Polieren." Klar, wer liebt das nicht, denkt man sich – und überlegt, ob in der geisterhaften, namenlosen Stimme, die als "F 25 D" aus einem Archiv zu einem spricht, Ironie, Verängstigung oder wahre Begeisterung mitschwingt. Man ist sich aber bald sicher: Letzteres eher nicht.

Die Künstlerin Karina Nimmerfall hat in besagtem Archiv gestöbert, das als Teil des Projektes Mass Observation im Zweiten Weltkrieg in London angelegt wurde. Den anonymen Interviewprotokollen mit 65 Frauen in ihren Wohnungen in verschiedenen Londoner Stadtteilen stellte sie Fotografien der Gegenwart von den Straßen, in denen sie lebten, oder den – so sie noch existierten – Häusern gegenüber.

Das eigentlich von Künstlern, Schriftstellern und Dokumentarfilmern initiierte Projekt Mass Observation begann, nachdem 1937 König Edward VIII, ein Nazifreund, der die bürgerliche Amerikanerin Wallis Simpson heiratete, abdankte. Misstrauen brach damals in der Bevölkerung aus. Misstrauen gegenüber der britischen Presse, die zu lang über die veritable Staatskrise geschwiegen hatte, und gegenüber der herrschenden Klasse. Soziologen debattierten im Windschatten dieser Krise darüber, dass man eigentlich nichts über Wünsche und Bedürfnisse der Arbeiterklasse wusste. Man führte massenhaft Befragungen von Leuten in ihrem Zuhause durch. Der Beginn von Big Data.

Krieg zu Hause

Später wurde Mass Observation vom Informationsministerium übernommen. In der Publikation War Begins at Home dokumentierte man 1940 die ersten Kriegsmonate und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung: durch Luftangriffe verursachte Neurosen oder während der Evakuierungen ausbrechende Klassenkonflikte.

Die 65 Interviews, die Nimmerfall analysierte, wurden 1941 geführt. In der Ausstellung Indirect Interviews with Women in der Camera Austria in Graz sind sie nach Himmelsrichtungen gehängt. Gentrifizierungen (Stichwort Notting Hill) mancher Viertel sind bei genauerem Hinsehen ebenso zu erkennen wie jene Viertel, die von Bomben schwer getroffen wurden und deshalb heute aus neueren Gebäuden bestehen. Wenige haben sich kaum verändert.

Nimmerfall nahm Notizen und Ergänzungen am Rand der Blätter vor. Zeitlich klafft da eine Lücke zwischen damals und heute, die man mit Archiven und historischen Chroniken freilich füllen könnte – doch das war nicht Nimmerfalls Absicht. Spannend sind vielmehr Parallelen zur Gegenwart.

"Es war sicher nicht einfach, die Interviews zu führen", gibt Nimmerfall zu bedenken, "viele Frauen konnten nicht glauben, dass man an ihrer Meinung interessiert war, viele hatten Angst, bei falschen Antworten die Sozialhilfe zu verlieren." Man schickte eigens Frauen aus, die Frauen befragten, um Vertrauen zu fördern. Auch habe es Unterschiede gegeben zwischen den Aussagen von Hausfrauen und Arbeiterinnen, deren Männer gerade im Krieg waren, und jenen, deren Gatten arbeitslos neben ihnen saßen. Besonders berührend sind Protokolle aus Häusern in der Commodore Street, die später durch Bomben fast gänzlich zerstört wurden.

Nur wenige antworteten übrigens, dass sie Hausarbeit hassten. Andere zogen sich durch das ganze Interview mit "I don't know" aus der Affäre. Träume vom Eigenheim mit Garten wabern durch die Viertel und wohl auch die Jahrzehnte. (Colette M. Schmidt, 1.6.2018)