Die verstörenden Videoaufzeichnungen von einem tödlichen Hinterhalt auf dem Golan, die österreichische Blauhelme im September 2012 anfertigten, die die Öffentlichkeit aber erst vor kurzem erschütterten, erscheinen nun in einem neuen Licht. Fünf Wochen lang ging eine Untersuchungskommission des Bundesheers, von Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) prompt eingesetzt, den Umständen rund um die dramatischen Szenen nach, die sich damals nahe der UN-Position Hermon Süd abspielten. Und sie kommen einer Entlastung gleich.

Die Ausgangslage vor der Befragung von mehr als eineinhalb Dutzend heimischen Soldaten, die einst in die Befehlskette eingebunden waren, lautete quasi: Neun syrische Geheimpolizisten mussten im Kugelhagel sterben – ohne dass die von der Republik entsandten UN-Kräfte vor Ort Anstalten gemacht hätten, die Patrouille der Mukhabarat in einem weißen Pick-up vor einer Weiterfahrt zu warnen. Stattdessen waren in den Mitschnitten deftige Kommentare zu vernehmen, etwa: "Winkts nur, solang ihr noch könnt!"

Jetzt, nach penibler Rekonstruktion und Durchsicht der Dokumente, liegen zwei wesentliche Erkenntnisse vor. Erstens: Der UN-Posten Hermon Süd liegt am Ende einer Gebirgsstraße in der damals nur angeblich entmilitarisierten Zone zwischen Israel und Syrien. Das bedeutet: Hier war gemäß Lageplänen eindeutig Sackgasse – und der Pick-up der an dem Tag auffällig aufmunitionierten syrischen Geheimpolizei war somit zuvor schon einmal unbehelligt an dem später tödlichen Hinterhalt vorbeigefahren, der aus schwerbewaffneten "non-governmental armed elements" bestand, wie es im Militärsprech heißt. In den Anfängen des syrischen Bürgerkriegs sind die Syrer auf der Suche nach diesen feindlichen "Elementen" gewesen.

Die UN-Vorgaben für das jahrzehntealte Mandat auf dem Golan zur Wahrung des Waffenstillstands zwischen Israel und Syrien lautete für die österreichischen Soldaten jedoch strikt "Beobachten und Melden". Denn jegliches Einmischen, jegliches Handeln in dem Gebiet gefährdet das Leben von UN-Soldaten.

Die zweite Erkenntnis lautet: Der diensthabende österreichische Kommandant bei Hermon Süd gab den später ermordeten Syrern gut vernehmbar die Botschaft "Gebt acht! Gebt acht!" für ihre Weiterfahrt mit, wie das erneut präsentierte Videomaterial zeigt.

Wer an den Untersuchungsergebnissen des Bundesheers dennoch zweifelt: Das gesamte Material wird der Staatsanwaltschaft Wien übergeben, die prüft, unter welchen Tatbestand das Verhalten der UN-Soldaten fallen könnte, also ob hier eventuell Mord durch Unterlassung vorgelegen haben könnte. Allfällige Manipulationen an der Tonspur der Videos blieben daher wohl kaum unentdeckt. Und ebenfalls von Belang: In die Untersuchung in Wien waren die Vereinten Nationen stets eingebunden.

Politisch ist dem blauen Verteidigungsminister und seinem Generalsekretär bisher zugutezuhalten, dass sie auf verbale Vorverurteilungen wie Freisprüche verzichtet haben. Selbst mit aufgeregten Vorhaltungen gegenüber roten Vorgängern hielt man sich auffallend nobel zurück. Bis auch die Justiz über die Vorgänge auf dem Golan befunden hat, kann daher auch die Medienbranche etwas lernen: lieber zuvor alle Seiten anhören, bevor man schwerwiegende Verdächtigungen hinausschießt. (Nina Weißensteiner, 5.6.2018)