Svante Pääbo war kürzlich in Wien, um bei der feierlichen Sitzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften den Festvortrag zu halten.
Österreichische Akademie der Wissenschaften

Es ist für Svante Pääbo die jüngste große Auszeichnung in einer langen Reihe: Am Mittwoch er hielt er den Prinzessin-von-Asturien-Preis, der als der spanische Nobelpreis gilt. Pääbo, der Sohn des schwedischen Nobelpreisträgers Sune Bergström und der estnischen Chemikerin Karin Pääbo, gilt als einer der meist zitieren Forscher der Gegenwart. Mit der Paläogenetik hat er eine eigene höchst erfolgreiche Forschungsrichtung auf den Weg gebracht, die praktisch im Wochentakt mit neuen, faszinierenden Erkenntnissen aufwartet: Forscher können heute aus den Knochen von Menschen, die vor tausenden von Jahren gestorben sind, DNA-Proben ziehen und gewinnen dadurch neue Erkenntnisse etwa über urzeitliche Wanderungsbewegungen. Pääbo gelang mit seinem Team 1997 der entscheidende Durchbruch, indem er erstmals kleine Teile der DNA eines Neandertalers sequenzieren konnte.

STANDARD: Sie waren federführend an der Sequenzierung des Neandertaler-Genoms und 2010 an der des bis dahin völlig unbekannten Denisova-Menschen beteiligt. Was haben wir mit unseren nächsten Verwandten gemeinsam, die vor gut 30.000 Jahren ausgestorben sind, und was ist bei uns anders?

Pääbo: Grundsätzlich haben wir mit den Neandertalern und Denisovanern eine ganze Menge gemeinsam. Diese Nähe zeigt sich beispielsweise daran, dass der größte Teil unseres Genoms auf jene Vorfahren zurückgeht, die wir mit den Neandertalern und Denisovanern teilen. Außerdem zeugten unsere Vorfahren sowohl mit Neandertalern wie auch mit Denisovanern fruchtbaren Nachwuchs. Insofern waren sie keine anderen "Arten", sondern nur andere "Menschenformen", wie ich lieber sage.

STANDARD: Wie groß sind nun die Unterschiede in der DNA?

Pääbo: Das lässt sich auf unterschiedliche Weise formulieren. Man kann etwa sagen, dass in rund zehn Prozent unseres Genoms Variationen existieren, die anders sind als beim Neandertaler. Zudem sind 87 unserer rund 20.000 Gene, die für Proteine codieren, anders. Dazu kommen aber noch zahlreiche Variationen, die für andere Gen-Aktivitäten.

STANDARD: Können diese DNA-Unterschiede auch erklären, warum die Neandertaler und die Denisovaner ausgestorben sind, während wir moderne Menschen mittlerweile Milliarden von Individuen hervorgebracht haben?

Pääbo: Das ist die große Frage! Faktum ist, dass wir uns nicht nur stark vermehrten, sondern dass wir auch immer neue Technologien entwickelten, die uns dabei halfen, uns über den gesamten Erdball zu verbreiten. Natürlich spielten da auch kulturelle und soziale Faktoren wie das Lernen eine Rolle. Vermutlich liegt es aber in unseren einzigartigen Genen, dass wir eine so ausgeprägte kognitive Bereitschaft zum Lernen haben.

STANDARD: Kürzlich haben Kollegen von Ihnen behauptet, dass auch schon die Neandertaler recht hell im Kopf gewesen sein müssen, weil sie etwa Höhlenkunst schufen.

Pääbo: Wenn ich mir anschaue, was als Beleg für die Neandertalerkunst herangezogen wurde, dann würde ich etwas ironisch anmerken, dass es sich dabei um sehr moderne Kunst handelt: Ich weiß jedenfalls nicht, was diese Neandertalerkunst darstellen soll. Faktum ist, dass die gegenständliche Malerei erst mit dem modernen Menschen kam. Bei seinen Höhlenmalereien kann man klar erkennen, dass es sich dabei um einen Höhlenbären oder ein Bison handelt. Noch besser kann man den Unterschied bei der Technologie sehen: Beim modernen Menschen entwickeln sich die Werkzeuge schnell regional weiter, bei den Neandertalern bleibt das Werkzeug fast die ganze Zeit – noch dazu in einem sehr viel längeren Zeitraum – gleich.

STANDARD: Haben Sie eine Vermutung, welche Unterschiede in der DNA für diese Vorteile des Menschen beim Lernen und damit auch in Kunst und Technik gesorgt haben könnten?

Pääbo: Nein, wir tappen da noch sehr im Dunkeln und stehen erst ganz am Anfang. Ich denke, dass wir mindestens noch zehn oder zwanzig Jahre lang damit beschäftigt sein werden, diese entscheidenden DNA-Unterschiede zu identifizieren, die uns einzigartig machen.

STANDARD: Sie haben mit Ihrem Team neben dem Genom des Neandertalers auch das des Denisova-Menschen sequenziert und ihn dadurch erst entdeckt. Denken Sie, dass man noch ähnliche Entdeckungen machen kann?

Pääbo: Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass man außerhalb Afrikas noch auf Überraschungen stößt – also konkret: dass man noch weitere unbekannte Menschenformen entdecken wird, die vor rund 50.000 Jahren gelebt haben. Es ist aber davon auszugehen, dass solche Gruppe sehr wenig oder nichts zu unserer heutigen DNA beigetragen haben – denn das hätte man bereits entdeckt.

STANDARD: Sie haben Afrika ausgenommen. Warum?

Pääbo: Afrika ist schwer zu erforschen. Zum einen gab es dort neben dem modernen Menschen sicher noch etliche andere Verwandte, mit denen sich der moderne Mensch wahrscheinlich kontinuierlich genetisch austauschte. Zum anderen haben wir sehr wenig alte DNA aus Afrika.

STANDARD: Zuletzt sorgte ein Fund in Marokko einiges Aufsehen. Die Fossilien ähneln jenen eines modernen Menschen, sind aber 300.000 Jahre alt, also rund 100.000 Jahre älter als die ältesten bekannten modernen Menschen. Wie interpretieren Sie diesen Fund?

Pääbo: Wir wissen, dass sich unsere Entwicklungslinie von jener, die zum Neandertaler führte, sich vor rund 500.000 Jahren getrennt hat. Insofern muss es auch Vorformen des modernen Menschen geben, die vor 300.000 Jahren lebten. Das Überraschende an dem neuen Fund ist, dass man diese Knochen in Nordwestafrika gefunden hat. Bisher dachte man, dass man nur in Ost- und Südafrika fündig würde – was womöglich ein völlig falsche Annahme war.

STANDARD: Sie erwähnten, dass Sie aus Afrika so gut wie keine alte DNA haben. Woran liegt das?

Pääbo: In tropischen und subtropischen Gegenden erhält sich die Erbsubstanz nicht so gut. Deshalb versuchen wir, unsere Methoden noch empfindlicher zu machen, um womöglich aus noch geringeren DNA-Spuren Informationen zu ziehen. Bis jetzt sind wir damit aber meist gescheitert – etwa auch beim kleinwüchsigen Homo floresiensis aus Indonesien. Dessen DNA wäre sicher sehr spannend.

STANDARD: Die meisten Paläontologen meinen, dass diese kleinwüchsigen Hobbits, die ebenfalls bis vor 50.000 Jahren oder sogar noch in jüngerer Zeit gelebt haben, eine sehr frühe Abzweigung in der Menschheitsentwicklung gewesen seien. Was denken Sie?

Pääbo: Ich warte und hoffe auf die genetischen Daten. Denn auch bei den Paläontologen und Anthropologen herrscht in der Frage ja keine Einigkeit.

STANDARD: Ein anderer Forschungsschwerpunkt von Ihnen und Ihren Kollegen ist die Migrationsgeschichte des Menschen in den letzten gut 10.000 Jahren.

Pääbo: Das stimmt. Wobei man da meines Erachtens sehr vorsichtig sein sollte und aufpassen muss, die genetische Geschichte nicht mit der kulturellen Geschichte gleichzusetzen. Man sollte das zuerst einmal getrennt analysieren.

STANDARD: Warum das?

Pääbo: Ich halte es für gefährlich, von vornherein eine bestimmte Kultur oder Population mit bestimmten genetischen Merkmalen zu verbinden. Man sollte erst in einem zweiten Schritt klären, ob das eine wirklich etwa mit dem anderen zu tun hat.

STANDARD: Ihr Kollege David Reich hat zuletzt für heftige Diskussionen gesorgt, als er in seinem neuen Buch und in seinem Essay für die "New York Times" von möglichen Unterschieden im Zusammenhang mit dem Verhalten und die Kognition verschiedener Populationen schrieb. Was halten Sie davon?

Pääbo: Ich kenne David Reich sehr gut und schätze ihn sehr. Ich würde ihm auch zubilligen, dass er mit dem Buch die besten Absichten hatte, aber er verfehlt meines Erachtens sein Ziel. Er könnte ganz andere Dinge herausstreichen, die er selbst erforscht hat: zum Beispiel, dass die heutigen Europäer aus Populationen entstanden sind, deren genetische Unterschiede sehr viel größer waren als jene zwischen den heutigen europäischen und asiatischen Populationen. Gewöhnlich denken die Leute, dass es so etwas wie absolute Unterschiede etwa zwischen Afrikanern und Europäern gebe. Dabei geht es aber natürlich immer nur um Häufigkeiten bestimmter Varianten. Und genau das sollten wir den Leuten vermitteln!

STANDARD: Wie am besten?

Pääbo: Wir haben beispielsweise in einer Studie die DNA von je hundert Afrikanern, Europäern und Asiaten verglichen. Dabei zeigte sich, dass es 44 Millionen variable Positionen in der DNA gibt. Dann schauten wir, wie viele dieser Varianten jeweils allen Afrikanern, allen Europäern und allen Asiaten gemeinsam sind. Die Antwort war null. Am meisten Übereinstimmung innerhalb der Gruppen gab es noch bei DNA-Varianten, die für Haar- oder Hautfarbe verantwortlich sind. Aber dass es in dem Bereich Unterschiede gibt, ist nun wirklich ziemlich trivial. (Klaus Taschwer, 7.6.2018)