Richtiger Slogan, zu kurz gegriffene Analyse: Martin Schulz beim außerordentlichen SPD-Parteitag im Jänner.

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Martin Schulz, glückloser SPD-Spitzenkandidat, beinahe Oppositionsführer, beinahe Vizekanzler und am Ende tragischer Held des Buches "Die Schulz-Story", hat sich offenbar wieder erholt. Er will wieder kämpfen, wie er in einem Gastbeitrag für den Spiegel kürzlich schrieb.

Diesmal geht es ihm um Europa, das ja die eigentliche Leidenschaft des deutschen Sozialdemokraten ist. Er war lange Mitglied des Europäischen Parlaments und zuletzt dessen hochgeachteter Präsident, und manch einer sagt heute, es wäre besser für alle Beteiligten gewesen, Schulz wäre das auch geblieben. Aber sei's drum: Schulz sieht Europa in Gefahr, es gehe um nichts weniger als das "Überleben der liberalen Demokratie" in einem "globalen Kampf der Systeme".

Schulz sieht Europa gefährdet durch Donald Trump, der seine ehemaligen Partner verachte, dem Nationalismus fröne und offen fremdenfeindlich auftrete. Und er sieht es auch gefährdet durch Trumps Epigonen in "Moskau, Peking, Ankara" sowie "Strache in Österreich, die Regierungen in Warschau und Budapest, und jetzt auch Salvini und Grillo in Italien". Schulz schloss naturgemäß auch die AfD in Deutschland mit ein und schrieb, ihnen allen gemeinsam sei die Verachtung für das Modell der aufgeklärten Demokratie.

Mehr Schulden, weniger Sorgen

Der SPD-Politiker lobt Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, der diese Krise der liberalen Demokratie als Erster vor dem Europäischen Parlament angeprangert hat. Macron fordert deutlich mehr Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Forschung und Entwicklung. Schulz meint, ganz in sozialdemokratischer Tradition, der schon Bruno Kreisky gefrönt hat: Es gehe nicht um ein paar Milliarden mehr oder weniger in den europäischen Budgets, es gehe darum, durch Investitionen die liberale Demokratie zu retten.

Das klingt schön – aber auch allzu einfach. Was Schulz ausklammert, ob bewusst oder unbewusst: Auch die meisten sozialdemokratischen Parteien in Europa haben sich in den vergangenen Jahren zumindest in Teilbereichen illiberal verhalten. Sie haben, zum Beispiel in Österreich, den heimischen Arbeitsmarkt vor "Ausländern" abgeschottet – indem Ausnahmeregelungen erzwungen wurden, um die "eigenen Leute" zu bevorzugen.

In einem Boot mit Populisten

Sie haben, überall in Europa, dabei mitgewirkt, die Grundrechte der Bürger einzuschränken und die Möglichkeiten der Polizei auszuweiten, um die Terrorgefahr zu bannen (was oft genug misslang). Gleichzeitig wurden aber dabei sehr grundlegende Auffassungen von bürgerlicher Freiheit über Bord geworfen – etwa bei Fluggastdatenspeicherung und Telekom-Überwachung.

Sozialdemokratien liebäugeln mit populistischen Parteien, wenn es um Regierungskoalitionen geht – ob in der Slowakei oder in Rumänien, wo die PSD gar selbst nationalistische Töne anschlägt.

Sozialdemokraten haben, wie Gerhard Schröder in Deutschland oder Tony Blair in Großbritannien, schon zur Jahrtausendwende den "Dritten Weg" beschritten und das Sozial- beziehungsweise Gesundheitssystem in ihren Ländern massiv beschnitten. Die Folgen kann man heute, nach zwei massiven Weltwirtschaftskrisen, an steigender Kinderarmut in Deutschland und dem Beinahekollaps des britischen Spitalswesens ablesen.

Kehren vor eigenen Türen

Sozialdemokraten sind nicht glaubwürdig, wenn sie mit dem Finger auf andere weisen und sagen, immer nur die anderen seien die Sozialabbauer, Fremdenfeinde und Demokratiegefährder. Und auch der derzeit von europäischen Politikern so gelobte Emmanuel Macron betreibt mit dem geplanten Abbau von 150.000 Stellen im öffentlichen Dienst, den er der "Privatwirtschaft" anpassen will, ein gefährliches Spiel. Denn das wird ebenfalls das Gesundheits- und Sozialsystem des Landes massiv verändern – ob zum Besseren, bleibt abzuwarten.

So einfach, so vereinfachend geht es eben längst nicht mehr zu auf der Welt. Martin Schulz beispielsweise bleibt bei seiner Analyse eine Antwort auf die Frage schuldig, die alle Politiker in Europa umtreiben sollte: Warum haben Politiker, die gegen die aufgeklärte liberale Demokratie agitieren, solchen Zulauf bei Wahlen? Wieso ist das bisherige "System", wieso sind die Eliten so diskreditiert, dass ihnen nichts mehr geglaubt wird?

Ehrlich vor der eigenen Türe zu kehren – das wäre vielleicht ein Anfang. (Petra Stuiber, 7.6.2018)