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Traditionelle Medien geraten unter Druck, nicht nur von rechter Politik – wenn oft genug "Fake-News" gerufen wird, bleibt irgendwann etwas hängen.

Foto: REUTERS/Joshua Roberts

Vor einigen Jahren traf ich auf einer Reportagereise durch Bolivien einen Kollegen, der seinen Posten als Chefredakteur einer Zeitung in "La Paz" gerade hatte aufgegeben müssen. "Wissen Sie", sagte er, "früher hat uns die Regierung nur attackiert und öffentlich unter Druck gesetzt. Inzwischen haben sie eine intelligentere Strategie. Sie kaufen uns. Sie kaufen die Medienunternehmen auf und korrumpieren sie."

Für mich illustriert dieses Beispiel gleich dreierlei. Erstens: Dass Politiker die Unabhängig- keit der Medien angreifen, ist keine Spezialität der politischen Rechten. Boliviens Präsident Evo Morales ist Sozialist und ehemaliger Freiheitskämpfer. Zweitens: Für die Beschränkung von Medienfreiheit gibt es vielfältige Methoden. Man muss Medien nicht verbieten, um sie zu schwächen. Das geht subtiler. Drittens: Money matters. Wer zahlt, bestellt. Oder kann es zumindest.

In kaum einem anderen Land sitzen derzeit so viele Journalisten im Gefängnis wie in der Türkei. In Russland haben Journalisten die Angewohnheit, auffällig häufig gewaltsam aus dem Leben zu scheiden. Aber auch in der "Wertegemeinschaft Europäische Union" steigt eine Journalistin ins Auto und wird in die Luft gesprengt. Doch auch jenseits von Mord, Kriminalität und Korruption gehen in einer ganzen Reihe EU-Länder die Drohungen inzwischen erschreckend weit: Regierungen erstellen schwarze Listen. Ein Staatspräsident findet es lustig, die Kalaschnikow-Attrappe hochzuhalten, mit der Aufschrift "Für Journalisten". Öffentlich-rechtlicher Rundfunk wird zu einem Verlautbarungsorgan umgestaltet. Oder durch die Hintertür unter Druck gesetzt. Es spielt eine gewaltige Rolle, wie ein Rundfunk finanziert wird. Muss er bei der Regierung um Geld betteln, kann man sich leicht vorstellen, wie frei sich Redakteure fühlen.

Aber auch kommerzielle Medien bekommen ökonomischen Druck zu spüren. Kritischen Blättern bricht das Anzeigengeschäft weg, weil Unternehmer die Regierung nicht verärgern wollen. Zeitungen geraten durch Verkäufe in die Hände von Regierungsvertrauten. Oder Politiker sind gleich selbst die größten Medienmogule. Immer wieder richten sich politische Attacken auch darauf, die Glaubwürdigkeit von Journalisten zu untergraben.

Differenziertes Gesamtbild

"Die Medien" werden als einheitlicher Block hingestellt: "stecken alle unter einer Decke", "werden gesteuert". Letzteres wird gerne von jenen behauptet, die selbst steuern würden. Auch der Vorwurf, Journalisten seien "nicht neutral", kommt gerne von Parteigängern, die starke Meinungen vertreten und deren Infragestellung als "nicht objektiv" verurteilen. Dass sich über Artikel oder TV-Berichte hinweg in einer freien Medienlandschaft ein differenziertes Gesamtbild ergibt, bleibt dabei unbeachtet. "Neutralität" entwickelt sich zum Kampfbegriff. Und wenn man oft genug "Fake-News" schreit, zeigt das Wirkung.

In Österreich haben ORF-Journalisten kürzlich erklärt bekommen, dass ihre Jobs künftig nicht mehr sicher seien, wenn sie nicht "neutraler" berichten. Sie müssten "erzogen" werden, "besser zu berichten". Zunächst einmal ist "besser" eine Definitionsfrage, die man nicht einzelnen Politikern überlassen darf. Natürlich dürfen sie sich beschweren. Sie sind aber nicht Richter oder Pädagogen. "Volkserziehung" in extremer Variante kann man sich in China ansehen. Dort wird das Volk mit Punktesystem bewertet. Frau Li setzt sich für die Partei ein. Herr Wu hat die Straße gefegt. Marietta Slomka hat genehme Fragen gestellt. Armin Wolf nett gelächelt.

Insgesamt hat sich die Lage der Pressefreiheit in den letzten Jahren nirgendwo so stark verschlechtert wie in Europa. Dieser Befund von Reporter ohne Grenzen ist umso besorgniserregender, wenn man bedenkt, dass das EU-Europa einen erheblichen Teil seiner Stärke und Attraktivität immer aus seinem Freiheitsmodell bezogen hat. Und die Pressefreiheit ist dabei der untrüglichste aller Seismografen.

Auch Selbstbefragung

Wir Journalisten müssen uns aber auch selbst fragen, warum Bestrebungen, Medienfreiheit zu beschränken, Erfolg haben. Wir reden hier ja nicht über absolutistische Monarchien. Sondern über Länder, in denen Regierungen von sich sagen können: Wir wurden demokratisch gewählt, hinter uns stehen Millionen Bürger. Offenkundig ist das aber noch keine Garantie für die Akzeptanz von Machtbeschränkungen und die Wahrung demokratischer Grundrechte wie der Pressefreiheit.

Ich glaube: Wir müssen unsere Rolle und unsere Arbeitsweisen besser erklären. Probleme nicht verschweigen, etwa wie aufwendig es oft ist, sich Wahrheiten anzunähern. Dass mit Deutung nicht der Anspruch auf Deutungshoheit einhergeht. Dass Haltung nicht das Gleiche ist wie Parteilichkeit. Dass wir Erklärer und Kritiker sind. Glaubwürdig sind Journalisten dabei nur, wenn sie sich von der Politik klar abgrenzen. Das gilt für Sender und Verlage, aber auch für jeden Einzelnen. (Marietta Slomka, 6.6.2018)