Bei den Aktionen ihres Mannes spielte Anna Brus eine wichtige Rolle – hier 1965 bei der Aktion "Transfusion".

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Anna Brus 2018 im Belvedere bei der Eröffnung der Ausstellung "Unruhe vor dem Sturm" von Günter Brus.

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Anna (damals auch Ana) Brus in den 1960ern am Rande einer Aktion ihres Mannes.

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Als am Abend des 7. Juni im Hörsaal 1 des NIG der Uni Wien mit der Aktion Kunst und Revolution vor rund 300 Zusehern Kunstgeschichte geschrieben wurde, kam eine junge Frau verspätet. Anna Brus, Ehefrau von Günter Brus, hatte auf ihren Bruder gewartet, damit dieser ihre kleine Tochter beaufsichtigen konnte, bevor sie zur Uni aufbrach. Derweil waren die Wiener Aktionisten, neben Brus, Peter Weibel, Otto Muehl, Oswald Wiener, Malte Olschewski, längst zur Sache gekommen: Auf der österreichischen Flagge wurde defäkiert, masturbiert, gepeitscht, erbrochen – alles, während man die Bundeshymne sang. Anna Brus erinnert sich:

Ich hab sofort gemerkt, dass da der Hut brennt. Es war nicht chaotisch, aber man hat gemerkt, es war hoch brisant. Da war auch ein Mann, der das zur Anzeige gebracht hat. Aber das Schlimmste war dann der Staberl von der "Kronen Zeitung". Der hat losgelegt, das war wie ein Aufruf zur Lynchjustiz. Dann ging es los. Man weiß ja aus Erfahrung, das Volk ist sofort geneigt mitzumachen.

Ihr Mann kam in U-Haft. Anna blieb mit dem Kind zurück. Nun entlud sich der öffentliche Zorn auf sie, die "Hexe", die "Hure", als die man sie beschimpfte.

Man hat Briefe geschrieben, angerufen, da kamen grauenhafte Drohungen. Später habe ich nicht mehr abgehoben. Ich war allein in der Wohnung. "Ich werde dir auflauern, und ich werde dich erwischen", sagte einer. Aber meine allergrößte Sorge war meine Tochter.

Innerhalb kürzester Zeit hatten Wiener Bürger 2000 Unterschriften gesammelt. Sie forderten, Anna Brus ihr Kind, die zweijährige Diana, wegzunehmen. Man drohte, die Behörden einzuschalten. Anna brachte Diana zur Oma in die Steiermark.

Gott sei Dank haben sich die Behörden nicht eingeschalten. Ich habe alle Briefe von damals aufgehoben. Wenn es um einen selber geht, kann man schon irgendwie durch, aber beim Kind hat man nur mehr Angst.

Von Freunden fühlte sich Anna Brus komplett verlassen.

Es war sehr wienerisch, alle sogenannten Freunde waren plötzlich weg. Keiner hat mich angerufen. Die Ausnahmen waren ein Boutiquenbesitzer am Judenplatz, der hat mich schneidern lassen, ich war ja Schneiderin, und half uns über die Grenze, und der Filmemacher Kurt Kren. Otto Muehl und Ossi Wiener waren selbst in U-Haft. Und dann hat mich ein Kommunist, ein richtiger alter Kummerl, der im Widerstand war, besucht. Er hat Zuckerln fürs Kind gebracht und gesagt, wie wichtig der Aktionismus und ein bissl Revolte seien. Das hat gut getan. Wir haben ja schon gedacht: Was haben wir da angerichtet? Unsere frühen Aktionen waren ja nicht politisch geprägt, es ging um eine Erweiterung des Kunstbegriffs weg von der Leinwand, hin zum Körper.

Durch eine Behördenschlamperei kam Brus überraschend frei, durfte aber die Stadt nicht verlassen. Man entschied sich zu fliehen.

Wir packten das Nötigste in unserer schirchen Wohnung in der Adalbert-Stifter-Gasse und ließen es uns nicht nehmen, zuvor noch auf alle Wände mit Siebdruck zu drucken: "Volk, begnadet für das Schöne".

Mit dem Auto schaffte man es über die Grenze nach München, es folgten ein paar Tage auf dem Land bei der Kommune der Rockband Amon Düül. Das lustige Kommunenleben hatte es dem Ehepaar wenig angetan. Man war erschöpft und vermisste das Kind. Erst nach sechs Wochen würde Anna die Tochter nachholen können. Nach Berlin fuhren sie mit dem Zug. Dort wartete zunächst eine ausgebombte Wohnung mit zwei Matratzen.

Aber Berlin! Herrlich! Es gab eine rührige Szene. Im Vergleich zu Wien: Oh Gott! Da war dieser Klub, Zodiac, da spielten jeden Tag Bands, es gab politische Statements. Vor allem die Frauen waren so munter, in Berlin war die Emanzipation auf dem Vormarsch. In Wien haben die Frauen, die mit den Aktionisten am Tisch saßen, den Mund nicht aufgemacht, hatten keine Meinung. Ich glaube, Vallie Export hat sich deshalb andere Kreise gesucht.

Mit der Malerin Elke Lixfeld eröffnete Anna Brus eine Werkstatt, was damals in Westberlin ohne Formalitäten ging. Auch Aktionistenkollege Oswald Wiener (Vater der Starköchin Sarah Wiener) machte am Paul-Linke-Ufer sein legendäres Lokal namens Exil auf. Für Anna Brus beginnt eine gute Zeit. Die Wohnsituation wird besser, sie erhält mit Näharbeiten die Familie, er ist beim Kind zu Hause. Der Freund von Lixfeld ist auch Vater und Hausmann. In Wien war das zu jener Zeit noch fast undenkbar. Doch die Werkstatt ist in Nachbarschaft einer WG der Roten Armeefraktion (RAF), deren Bewohner Lixfeld und Brus gar nicht kennen.

Auf einmal standen zu Hause sechs Polizisten und eine Beamtin vor der Tür. Günter ist gleich hinten raus, er war ja illegal im Land. Die haben eine radikale Terroristin gesucht, Angela Luther hieß die, der hab ich ähnlich geschaut. Durch die Nähe der Werkstatt zur WG haben die gedacht, das bin ich. Ich stand an die Wand gedrückt, mein Kind umklammerte mich. Aber die Beamtin bemerkte, dass ich mit der RAF nichts zu tun hab und Österreichisch spreche. Luther war Norddeutsche.

Günter Brus beendete seine Aktionen mit Selbstverletzungen, weil seine Frau ihn sonst verlassen hätte. Den Film der berühmten Zerreißprobe könne sie bis heute nicht ganz anschauen. Es gab eine Krise, sie setzte sich durch und die Beziehung der beiden "kratzte die Kurve". Brus schuf ab da Zeichnungen und Bilddichtungen, die Anna bis heute besonders liebt, und wurde international immer erfolgreicher. Doch er konnte das Land nicht verlassen. Zusammen mit der Ghettosituation Westberlins wurde das dem Paar zu viel. Anna entschloss sich, Bundespräsident Rudolf Kirchschläger zu schreiben. Der bat sie auch postwendend zur Audienz.

Das war eine Begegnung der seltsamen Art. Der Mann war so ein väterlicher Präsident. Ich hatte Bücher über Kunst mit und habe auf Egon Schiele und andere hingewiesen, die auch Probleme mit der Justiz hatten. Ich war viel länger dort, als die Audienz geplant war.

Kurz danach durfte Brus wieder einreisen. Nur eine Geldstrafe von 15.000 Schilling musste er zahlen. Die Rückkehr nach elf Jahren führte nach Graz, wo heute das Bruseum, die größte Brus-Sammlung, Teil des Landesmuseums Joanneum ist.

Nach Wien fahr ich schon noch, es ist ja eine tolle Stadt, aber ich fahre auch gern wieder weg. Diese Schmierigkeit und Hinterfotzigkeit hat sich gehalten. In Graz hatten wir viel Glück. Wir leben hier wie in einer Postkarte.

Anna Brus hätte in ihrem Leben nichts anders gemacht. Gefragt, ob sie, die bei vielen Aktionen planerisch und ausführend dabei war, heute nicht selbst als Künstlerin gelten würde, wiegelt sie ab.

Ich will das Wort Künstlerin gar nicht in Anspruch nehmen. Sagen wir so: Ich war eine gute Mitarbeiterin der Aktionisten. (Colette M. Schmidt, 7.6.2018)