Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl: "Viva la Vagina!"
S. Fischer, 2017.
400 Seiten, € 17,50

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Es gibt viele Mythen rund um den weiblichen Körper. Viele sind falsch.

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Wussten Sie, dass eine Gebärmutter 70 Gramm wiegt, die Klitoris ein vergleichsweise großes Organ ist und hauptsächlich im Inneren des Körpers verläuft – oder das gerne verwendete Bild der um die Wette schwimmenden Spermien gänzlich falsch ist? Nein? Sie sind nicht allein. Aufklärung bringt das Buch "Viva la Vagina!" der beiden norwegischen Autorinnen Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl.

Die beiden haben sich – motiviert von Giulia Enders und ihrem Darm-Aufklärungsbuch – daran gemacht, Mythen rund um den weiblichen Körper, Sexualität und Gesundheit tabulos und ohne Scham zu thematisieren. Die beiden Frauen können das: Die eine ist Medizinstudentin, die andere Ärztin. Verständlich, direkt und unverblümt erklären sie Dinge, die zu wissen sich lohnt. "Der Anus hat mehr zu bieten als nur Kacke", heißt es etwa im Kapitel "Das zweite Loch", und später: "Wir verstecken uns beim Ficken, anders als andere Lebenwesen. Deshalb ist Sex mit so vielen Unsicherheiten verbunden."

Über Mythen aufklären

Im Plauderton erklären die beiden, worüber sonst kaum gesprochen wird. Etwa warum Frau nach einem langen Tag zwischen den Beinen nun mal leicht säuerlich riecht (eine Kombination aus Schweiß, Urinresten und Ausfluss) oder dass der Penis lediglich eine verwachsene Klitoris mit eingebauter Harnröhre ist und deshalb auch eine Naht auf den Hodensäcken zu finden ist.

Aufklärung, vor allem über Mythen, ist den Autorinnen ein Anliegen: Sie räumen auf mit Falschwissen zum G-Punkt, dem Hymen (besser, aber fälschlicherweise bekannt als Jungfernhäutchen) oder der Annahme, ein Tampon könnte im Bauchraum verschwinden (aus der Kategorie: Kontaktlinsen können ins Gehirn wandern).

Noch was lernen

Die Leserinnen und Leser lernen: Frauen, die sich nahestehen, menstruieren oft nur zufällig zur selben Zeit; lediglich beim Menschen und ganz wenigen Tierarten gibt es eine Regelblutung; Eizellen halten nicht länger, wenn sie durch hormonelle Verhütung am Verlassen des Eierstocks gehindert werden. "Viva la Vagina!" ist für junge Mädchen ebenso wie für erwachsene Frauen, für Männer sowieso – jeder kann noch etwas dazulernen.

Erfrischend ist die Tabulosigkeit: Es geht um Ausfluss, Monatsblutung, Rasur im Intimbereich, Hormone, konkrete Tipps und Tricks für das erste Mal (Wie soll der da nur reinpassen?), wie man ein Kondom richtig anwendet (wie einen Sombrero aufsetzen), Orgasmen, Analsex, Partnerschaften, Schwangerschaft, Krankheiten im Intimbereich und Schönheits-OPs.

Eine Lanze brechen

Es geht bei allem Wissensneuerwerb durchaus lustig zu. Auch dank der Comics, die die Fakten illustrieren. Dennoch gibt es auch ernste Themen, etwa Genitalverstümmelung, die Regelblutung als häufig übersehene Barriere für die reale Gleichstellung von Frauen, vor allem in Entwicklungsländern, oder die jahrhundertelange Herrschaft der Männer über den weiblichen Körper.

Brochmann und Støkken Dahl brechen eine Lanze für die Selbstbestimmung von Frauen, vor allem im Kapitel rund um Verhütungsmittel heften sie sich auf die Fahnen, durch sachliche Aufklärung eine "eigenständige Entscheidung" für die Wahl des richtigen Verhütungsmittels ermöglichen zu wollen. Dennoch geht es hier alles andere als neutral zu, Hormone werden "wärmstens empfohlen", für die hormonelle Verhütung halten die beiden eine "Kleine Verteidigungsrede", wie sie es nennen. Eine sachliche Entscheidung für oder gegen eine Verhütungsmethode dürfte hier wohl der aufgeklärtesten Frau schwerfallen.

Aktive Eizelle

Und dennoch ist "Viva la Vagina!", gerade weil die Autorinnen darin sehr oft Stellung beziehen, ein Buch, das jeder Frau und jedem Mann ans Herz gelegt werden kann. Es räumt mit Unwahrheiten und veralteten Vorstellungen auf. Um auf das Bild von den um die Wette schwimmenden Spermien zurückzukommen, noch eine kurze Klärung aus dem Buch: "Die Eizelle hängt nicht in Erwartung der Samenzellen nervös an der Bar herum. Sie ist mindestens so aktiv wie die Samenzellen. Nicht die Spermien schwimmen zur Eizelle, vielmehr treibt die Eizelle auf die wartenden Spermien zu. Oftmals warten diese schon seit Tagen." Große Leseempfehlung! (Bernadette Redl, 10.6.2018)