Deutschunterricht an einer Neuen Mittelschule: Die bisherigen Methoden hätten keine berauschenden Ergebnisse gebracht, sagt Minister Faßmann.

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Das vernichtende Urteil kommt nicht von der Opposition, sondern von Menschen aus der Praxis. Als Irrweg qualifiziert eine Gruppe von Pädagogen, die eine Protestplattform gegründet hat, die neuen Deutschförderklassen. Tenor: Da werde der Sprachunterricht "an die Wand gefahren".

Pilot ist sozusagen Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP). Aus seinem Ressort stammt jenes Gesetz, das ab kommendem Schuljahr festlegt: Schulanfänger und Neueinsteiger, die ungenügend Deutsch sprechen, landen für bis zu zwei Jahre in eigenen Förderklassen abseits des regulären Unterrichts. Was hält Faßmann der geballten Kritik entgegen?

Argument 1: Ins Aus gedrängt

Kinder lernten dann am schnellsten, wenn sie von den Besseren motiviert und mitgezogen würden, sagen die Kritiker – genau das werde verhindert, wenn Schüler mit ihresgleichen isoliert würden.

"Einen Nichtschwimmer würde ich auch nicht ins Becken schubsen, sondern ihm erst erklären, wie Schwimmen geht", kontert Faßmann im STANDARD-Interview. "Kinder lernen am besten, wenn sie einen Grundstock haben, die Struktur der Sprache verstehen." Alarmismus sei insofern unglaubwürdig, als Volksschulanfänger zum Teil heute schon in eigene Sprachstartgruppen gesteckt würden. Dass diese, wie die Kritiker anmerken, flexibler als das neue Modell seien, hält Faßmann für keinen Vorteil – ein Lehrplan fehle ebenso wie konkrete Erfolgskriterien. Conclusio: Die Regierung erfinde nichts völlig Neues, sondern intensiviere ein bestehendes Konzept, indem sie in zusätzliche Förderstunden investiere.

Argument 2: Versteckte Kürzung

Das neue Modell bringe nicht mehr, sondern weniger Förderung pro Kopf, rechnen die Kritiker vor: Zwar umfassen die Deutschklassen in der Volksschule 15 und in der Mittelschule 20 Wochenstunden, was die elf Stunden der aktuellen Startgruppen übersteigt, doch dafür dürfen bis zu 25 Schüler drinsitzen – das sei mehr als im Status quo. In Wien nehmen an Förderkursen laut Stadtschulrat "rechnerisch" im Schnitt 17 Kinder teil, gerade in Volksschulen aber werde in der Praxis in kleinere Gruppen gesplittert.

Die 25 Schüler seien nur eine Obergrenze, die in der Regel nicht erreicht werde, wendet Faßmann ein, denn: Die Zahl der bedürftigen Kinder steige durch das Gesetz ja nicht an. Das Ministerium rechnet mit einem Schnitt von 18.

Was der Minister aber einräumt: Im Gegenzug zu den Deutschklassen "wird es weniger Geld für interkulturelle Teams und dergleichen geben". Weil die "Asylzuwanderung" stark abgenommen habe und sich die bereits ansässigen Flüchtlinge mittlerweile besser integriert hätten, brauche es weniger Personal, um Konflikte an Schulen zu schlichten.

Argument 3: Organisationschaos

In der Theorie sollen Förderschüler für "nicht sprachintensive" Fächer wie Zeichnen und Turnen in die Stammklasse zurückwechseln. Doch vielen Schulen fehlten die Räume, um ausgelagerte Förderklassen einzurichten, so der Einwand. Außerdem blieben an Standorten mit vielen Zuwanderern in den Stammklassen gerade einmal acht bis zehn Kinder zurück. Weil das Ministerium wohl kaum das Geld lockermachen werde, um so kleine Gruppen separat zu unterrichten, müssten auch diese Schüler ständig neu zusammengewürfelt werden.

Ja, da bedürfe es einer "flexiblen Managementfähigkeit", sagt Faßmann. So könnten Schulen, um kleine Gruppen zusammenzufassen, jahrgangsübergreifende Klassen einrichten: "Genau diese Möglichkeit haben Pädagogen ja lange gefordert. Ich verstehe nicht, warum das nun des Teufels sein soll."

Argument 4: Viele Sitzenbleiber

Geht fast die gesamte Zeit fürs Deutschlernen drauf, bleiben die anderen Fächer auf der Strecke: Viele Schüler würden zwangsläufig ein oder mehr Jahre nachholen müssen – und deshalb keinen Hauptschulabschluss schaffen.

Wenn ein Schüler dem Unterricht nicht folgen kann, sei es so oder so eine Illusion, in die nächste Klasse aufzusteigen, wendet Faßmann ein, geht aber davon aus, dass die Hälfte der Schüler in den Deutschklassen nach einem halben Jahr so gut ist, um in den regulären Unterricht zu wechseln: "Dann haben sie eine reelle Chance, im Sommer aufzusteigen."

Argument 5: Ignorierte Expertise

Statt die bisherige Praxis zu evaluieren und auf die Erfahrungen der Lehrer zu hören, stülpe die Regierung ein uniformes Korsett über. Warum nicht den Schulen die Autonomie gewähren, das für ihre Schüler jeweils beste Modell zu konzipieren? Weil die Ergebnisse – da brauche es keine neue Überprüfung – "alles andere als berauschend sind", antwortet Faßmann. Beispiel Lesekompetenz: Das Niveau hat sich laut offiziellen Zahlen seit 2006 nicht signifikant verbessert, der Rückstand der Schüler mit Migrationshintergrund ist sogar leicht gewachsen.

Originelle Unterrichtsideen seien stets willkommen, doch die Beliebigkeit müsse ein Ende haben, sagt der Minister und vermutet unter den Motiven der Kritiker nicht nur "Verzögerungstaktik", sondern auch die "pädagogisch romantische Attitüde", Schüler nur ja nie zu trennen: "Doch manchmal muss man trennen, um Leistung zu erzielen." (Gerald John, 8.6.2018)