EVP-Fraktionschef Weber (rechts) soll Spitzenkandidat bei der EU-Wahl werden, Kanzler Kurz unterstützt ihn.

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"Es ist mir eine große Freude, den neuen jungen Kanzler, unseren Freund, begrüßen zu dürfen", ruft Manfred Weber in den Festsaal des Hotels Sofitel in München. Dieser habe in Österreich "einen gewaltigen Erfolg erzielt", mit "klaren christdemokratischen und bürgerlichen Positionen, beeindruckend".

Vor dem Chef der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament sitzen gut 300 Zuhörer. Die meisten sind EU-Parlamentarier, die stärkste Gruppe in Straßburg vor den Sozialdemokraten. EU-Budgetkommissar Günther Oettinger war angereist, so wie einige andere Kommissare. Auch der kroatische Premier Andrej Plenković referierte bei der dreitägigen Studientagung.

Die EVP stellt die Präsidenten in den drei wichtigsten EU-Institutionen: Parlament, Europäischer Rat und Kommission. Nach den EU-Wahlen im Mai 2019 müssen diese Posten neu besetzt werden. Darum ging es aber nur hinter den Kulissen in der machtbewussten Parteienfamilie. Offiziell wurde über Inhalte verhandelt, über Positionen für den im Spätherbst einsetzenden EU-Wahlkampf. Deshalb vor allem wurde Kurz als Hauptredner eingeladen. "Wie können wir die Menschen für unsere Positionen gewinnen?", fragte Weber in den Raum. Darum gehe es: Wie man "Erfolg bei Wahlen hat".

Nachfolger für Juncker?

Der 46-jährige CSU-Mann ist Favorit für den Job des gemeinsamen EU-Spitzenkandidaten der EVP-Parteienfamilie – auch wenn seinen Namen offiziell niemand ausspricht. Aber es ist klar: Er soll, wie vom Standard berichtet, Nachfolger von Jean-Claude Juncker werden, so ein Parteigrande.

Dafür muss die EVP zuerst aber bei der EU-Wahl Erste werden, um den Anspruch auf die Kommissionsspitze erheben zu können. Vom Kanzler aus Österreich erwarten die Delegierten die Rezepte. Am Abend zuvor hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel eine Vorlage geliefert mit einer langen Programmrede, in der sie ausführlich wie nie mahnte, dass Europa an einer Wegscheide stehe. Handeln sei angesagt.

Merkel überraschte an zwei Punkten. Sie sprach sich offen für das Modell des Spitzenkandidaten aus, was sie bisher skeptisch sah. Und sie brachte zum Ausdruck, dass der Themenkomplex Migration, Asyl und Außengrenzschutz das wichtigste Thema sei. "Offen und in tiefem Ernst" sage sie: "Wenn es uns nicht gelingt, eine Antwort auf die Fragen der Migration zu finden, werden die Grundfesten der Europäischen Union infrage gestellt." Die Kanzlerin forderte ein gemeinsames Asylsystem, Asylstandards, eine europäische Asylbehörde und eine "wirkliche europäische Grenzpolizei".

Dass das Thema Migration zentral sein wird, betonte dann Weber: "Möglichst noch vor den EU-Wahlen" müsse man damit "durch sein". Dann werde es zu einer "Schlacht" gegen Spalter und Populisten kommen: "Für uns als Wahlkämpfer ist das von großer Bedeutung, weil das Thema viel Verhetzungspotenzial für Extremisten bietet."

Kurz'sches Repertoire

Österreichs Kanzler musste nicht mehr viel tun, als sein Standardrepertoire zur Notwendigkeit des EU-Außengrenzschutzes abzuspulen. Er sagt, dass er Merkel weitgehend zustimme. Ein "Europa, das schützt" sei das Motto des österreichischen EU-Vorsitzes ab Juli. Er betonte aber auch: "Es kann keine nationalen Antworten bei großen Themen geben, sondern nur eines: stärkere Zusammenarbeit in der Union." Aber die EU dürfe sich nicht verzetteln, müsse Spielräume lassen, schlanker werden – in Verwaltung und Budget. Auch das hörten Europas Christdemokraten gerne. Der ÖVP-Chef erhielt großen Applaus. Neben dem irischen Premier Leo Varadkar gilt er jetzt als Zukunftshoffnung und Zugpferd für die EVP. (Thomas Mayer aus München, 7.6.2018)