Salzburg – "Stellen Sie sich vor", sagt die Choreografin Mette Ingvartsen, "Sie schauen in Richtung eines großen Herrenhauses." Ingvartsen sitzt auf der Publikums tribüne des Salzburger Republic, dritte Reihe links außen. Ihre Stimme ist kühl und klar. Als Ouvertüre ihres Solostücks 21 pornographies – das Teil des dies jährigen Sommerszene-Festivals ist – beschreibt sie eine Szene aus Pier Paolo Pasolinis Film Die 120 Tage von Sodom: den Eintritt in jenes feudale Anwesen, wo sich die Handlung abspielt.

Ihren Worten folgend, betreten wir eine Halle, in der als Symbol für eine Welt des teuren Geschmacks, der edlen Formen und der brutalen Eskapaden ein exquisiter Lüster glitzert. Während der Aufzählung jener, die in besagter Halle weilen, hat sich Ingvartsen erhoben. Auf der Bühne provoziert sie eine erste Irritation, als sie die Stimme eines Herrn Präsidenten in Pasolinis Film nachahmt. Beim Verzehr von Exkrementen quäkt er wie ein Baby.

Mette Ingvartsen begibt sich in ihrem Solo allein und nackt in das Labyrinth aus Sex und Dominanz, das schon de Sade oder Pasolini darzustellen versucht haben.
Foto: Jens Sethzman

Endloses Leid

Lustvoller noch als der eigene Verzehr von Kot ist den Herrschaften das Zusehen dabei, wie andere dazu gezwungen werden. An diesem Punkt der Geschichte schwenkt die Erzählerin, die nun nur noch schwarze Socken trägt, in die Beschreibung einer Szene aus einem dänischen Pornofilm. Dort wird die Darstellerin mit brauner Schokosauce übergossen. Und noch ein wenig später nimmt Ingvartsen eine weitere Abzweigung: hin zu einer Filmszene, in der Soldaten sich am Abschlachten von Wehrlosen aufgeilen.

Der Erzählfaden der 21 pornographies führt in jenes Labyrinth aus Sex und Macht, das einst Marquis de Sade, später Pasolini und in jüngerer Zeit etwa Bret Easton Ellis darzustellen versucht haben. Im Unterschied zu diesen Herren liefert sich Ingvartsen live, allein und nackt einer Öffentlichkeit aus. Das klingt riskant. Aber die Künstlerin macht sich keine Sekunde lang zum Opfer – im Gegenteil. Mit ihren Worten packt sie das Pu blikum an den Hörnern und tanzt mit ihm durch eine von Bildern trunkene Welt.

Foto: Marc Domage

Worte und Bilder

Dabei bleibt Ingvartsen konsequent bei den Medien Film und Video. So folgt sie einem ihrer früheren Stücke, Speculations, in dem sie die Schlussszene von Antonionis Zabriskie Point – eine explodierende Villa – beschreibt. Wie damals mischen sich auch jetzt, in den 21 pornographies, die durch die Worte hervorgerufenen Bilder mit Ingvartsens Performance. Während sie schildert, wie Soldaten auf gerade von ihnen Erschossene urinieren, erleichtert auch sie ihre Blase. Schließlich, wenn alles über die Perversion von Sex in destruktive Machtausübung gesagt ist, stülpt sie einen schwarzen Sack über ihren Kopf und dreht sich im finalen Licht- und Soundgewitter um die eigene Achse wie eine abgelaufene Filmspule. (Helmut Ploebst, 8.6.2018)