Zwischen gesellschaftlicher Realität und dem Recht klafft bei verbaler sexistischer Belästigung im Netz eine Lücke.

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Frage: Warum ist ein verbaler sexistischer Übergriff, wie ihn die ehemalige Grünen-Abgeordnete Sigi Maurer auf Facebook erlebt hat, nicht strafbar?

Antwort: Weil das Strafrecht vor allem auf sehr drastische verbale Aussagen fokussiert, etwa Nachrichten, die beispielsweise Angst um Leib und Leben auslösen und somit den Straftatbestand der "gefährlichen Drohung" erfüllen. Häufig trifft das allerdings auf sexualisierte Übergriffe nicht zu. "Verbale Gewalt gegenüber Frauen passt oft nicht in die bestehenden Paragrafen", sagt Ingrid Brodnig, Expertin für Hass im Netz. Viele Nachrichten seien zu vage für den Straftatbestand der gefährlichen Drohung. Brodnig sieht in der Nachricht an Maurer aber eher eine "herabwürdigende obszöne Fantasie", und eine solche ist derzeit nicht strafbar.

Frage: Warum kann man die Nachricht an Maurer nicht als Vergewaltigungsdrohung einstufen?

Antwort: Unter dem Satz "Ich fick dich in deinen fetten Arsch" kann man die Androhung einer Vergewaltigung verstehen, sagt Medienanwältin Maria Windhager, die den STANDARD und in dem aktuellen Fall Maurer vertritt. Weil aber nicht klar erkennbar ist, ob der Verfasser das tatsächlich vorhat oder ob es nur eine Fantasie ist, reiche das meistens nicht aus. Windhager: "In der bisherigen Rechtsprechung zur gefährlichen Drohung werden solche Fälle meistens eingestellt."

Frage: Was ist mit einer Klage wegen Ehrenbeleidigung?

Antwort: Das ist möglich. Allerdings ist Ehrenbeleidigung ein Privatanklagedelikt, und das bedeutet für die Klägerin das volle Prozessrisiko. Sollte sie den Prozess verlieren, muss sie sowohl ihre Anwaltskosten als auch die des Beklagten und die Prozesskosten tragen. Handelt es sich um eine strafrechtlich relevante Tat wie eben eine gefährliche Drohung, ist hingegen die Staatsanwaltschaft zuständig. Von verbaler Gewalt im Netz Betroffene scheuen daher oft vor einer Klage zurück. Für Katharina Beclin, Strafrechtlerin an der Universität Wien, ist es völlig unlogisch, dass man gegen so gravierende verbale Überbegriffe zivilrechtlich vorgehen muss, bei einem einfachen Diebstahl aber nicht. "Gestohlene zwanzig Euro vergisst man wahrscheinlich bald, so eine Nachricht vergisst man unter Umständen ein Leben lang nicht", sagt sie. Bei der Ehrbeleidigung kommt noch erschwerend hinzu, dass die Nachricht mindestens zwei weitere Personen mitbekommen haben müssen. "Das ist ein sehr veralteter Ehrbegriff. Mit öffentlichen Beleidigungen degradiert der Beleidiger sich ja oft selber", sagt Beclin. Wenn man so eine Nachricht aber privat bekomme und sie völlig allein liest, kann das eine große psychische Beeinträchtigung sein – die allerdings nicht sanktioniert wird.

Frage: Warum greift hier der Mobbingparagraf nicht?

Antwort: Für den Straftatbestand Cybermobbing müssen derartige Nachrichten über einen längeren Zeitraum verschickt werden, eine einzige Nachricht reicht nicht aus. "Frauen werden so oft gezwungen, Belästigung lange auszuhalten, bis sie sich endlich juristisch wehren können", kritisiert Brodnig.

Frage: Verletzen derartige Nachrichten nicht auch das Recht auf sexuelle Integrität?

Antwort: Laut der Istanbul-Konvention des Europarats, die Österreich 2013 ratifiziert hat, schon. Im Artikel 40 der Konvention steht, dass auch gegen verbale sexuelle Belästigung Sanktionen vorzusehen sind. "Das hat Österreich schlicht nicht umgesetzt", sagt Katharina Beclin. Es gibt derzeit nur im Gleichbehandlungsgesetz für den Arbeitsbereich Regelungen, die sexualisierte Übergriffe nichtkörperlicher Art betreffen, darunter fällt etwa schon ein erotisches Poster im Büro. Für den privaten Bereich muss aber laut Beclin nachbessert werden.

Frage: Wie könnte man Opfer von Onlineübergriffen besser schützen?

Antwort: Für Windhager ist es zentral, möglichst niederschwellige Regelungen zu finden, damit Frauen ohne großes Prozessrisiko Ansprüche auf Unterlassung von solchen Nachrichten haben und Bestrafung durchsetzen können. Brodnig sieht die größte Rechtslücke bei vagen Drohungen. Frauen werde im Internet oft ausgerichtet: "Wundere dich nicht, wenn du vergewaltigt wirst." Brodnig: "Eine vage Drohung kann für das Opfer sehr furchteinflößend sein – es sollte Opfern leichter gemacht werden, dass sie sich juristisch wehren können", sagt sie. Und es sollte bereits Beschlossenes endlich umgesetzt werden, fordert Beclin, wie eben der Artikel 40 der Istanbul-Konvention. Zudem müsste jede Form der sexuellen Belästigung – auch im privaten Bereich – unter Strafandrohung stehen. Die Bundesregierung will sich nun in der Taskforce zur Verschärfung des Sexualstrafrechts mit dieser Art der Belästigung befassen.

Frage: Dürfen die Namen von Belästigern überhaupt öffentlich genannt werden?

Antwort: Das Mediengesetz sieht grundsätzlich einen Schutz für das Opfer, aber auch für den mutmaßlichen Täter vor identifizierender Berichterstattung wie etwa Namensnennung vor. Dabei findet aber immer eine Interessenabwägung statt: Ein öffentliches Interesse könnte daher im Einzelfall etwa in Abwägung mit der Pressefreiheit überwiegen. Der mutmaßliche Versender der Nachricht ist im aktuellen Fall zwar nicht prominent, der Identitätsschutz greift hier aber auch nicht. Der Grund: Das Versenden einer privaten Belästigungsmail ist keine gerichtlich strafbare Handlung. Opfer und mutmaßlicher Täter sind nicht geschützt. "Der Fall zeigt für beide Seiten rechtliche Lücken auf", so Windhager.

Frage: Unter welchen Bedingungen kann ein Verfasser einer sexistischen Nachricht die Empfängerin wegen übler Nachrede oder Kreditschädigung klagen, wie jetzt im Fall von Maurer?

Antwort: Wenn die Nachricht und der Name des mutmaßlichen Verfassers öffentlich genannt werden. In solchen Fällen gibt es eine Beweislastumkehr. Im konkreten Fall bedeutet das: Weil Maurer via Facebook öffentlich davon ausgegangen ist, dass der Lokalbetreiber der Absender der Nachricht ist, muss diese Behauptung als wahr erwiesen werden, ansonsten kann sie wegen übler Nachrede verurteilt werden. Anders wäre es, wenn sie den Namen des Absenders etwa nur gegenüber Freundinnen nennt, dann reicht es, dass man es selber für wahr hält, dass die Person die Nachricht verschickt hat. Kreditschädigung setzt auch voraus, dass jemand vorsätzlich eine unrichtige Behauptung verbreitet hat. Demnach müsste Maurer es ernstlich für möglich gehalten haben, dass jemand anderer als der Betreiber des Accounts die Nachricht verschickt habe und sie den Betreiber daher möglicherweise zu Unrecht öffentlich dafür verantwortlich mache. Vielleicht wäre das bei einer Facebook-Fanseite noch ein mögliches Szenario, bei einer privaten Nachricht von einem Facebook-Account halten das die Juristinnen Beclin und Windhager aber für eher unwahrscheinlich. Strafbare Handlungen wie Verhetzung werden übrigens oft mit dem Argument abgestritten, ein Account sei gehackt worden, weiß Brodnig. Ein Gericht muss dann die Glaubwürdigkeit dieser Behauptung prüfen. So könnte etwa ein Gutachter damit beauftragt werden, den Sprachstil anderer Nachrichten des Beschuldigten mit der versendeten Nachricht zu vergleichen. (Beate Hausbichler, 12.6.2018)