Die neue Volkspartei hat sich vor den Nationalratswahlen in Wien gut präsentiert, aber ist sie dort auch gut aufgestellt?

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Sebastian Kurz hat die Wahl gewonnen und ist Bundeskanzler. Die Volkspartei, die durch die Geschichte hindurch – bei genauerer Betrachtung – immer schon ein größeres Machtbewusstsein besaß als die Sozialdemokraten, ist nun dank Kurz dort, wo sie sich schon immer sah – und zwar im Bundeskanzleramt. Bis dahin hat sie jeden Obmann, der das Ziel nicht erreichen konnte, nach kurzer Zeit torpediert.

Wenig Personalreservoir

Die Zeiten haben sich geändert – und das Gewinnen von Wahlen genauso. Ohne charismatische Führungsspitze gewinnt man keine Wahlen mehr. Das Gewicht der Partei ist nicht mehr ausschlaggebend. Die Volkspartei lag in Umfragen vor Kurz bei 20 Prozent. Ganze zehn Prozent machte das Gewicht der Persönlichkeit Sebastian Kurz aus. Ihm wurde daher Beinfreiheit eingeräumt, wie sie kein Bundesobmann in der Geschichte besaß. Keiner. Die Machtkonstellation verschiebt sich Richtung Bund, und das ist gut so. Dass dabei die Parteienentwicklung auf der Strecke bleibt, darf Sorgen bereiten.

Diese massive Konzentration von Macht im Bundeskanzleramt und bei den immer schon mächtigen Landeshauptleuten muss die kleinen Funktionäre wachrütteln. Man muss sich das Ganze wie ein Schachbrett vorstellen: Nimmt man die mächtigste Figur, die Königin, aus dem Spiel, dann war es das mit der Partie. Denkt man sich den Bundeskanzler Kurz weg, dann bleibt nicht unbedingt ein vielversprechendes Personalreservoir übrig, während man sich beispielsweise Angela Merkel wegdenken kann, und es trotzdem weiterhin viele CDUler geben würde, die diese Position zweifelsfrei erfolgreich ausfüllen könnten. Das Schachbrett der CDU ist weitaus stabiler gebaut als jenes der neuen Volkspartei.

Kein Augenmerk auf Städte

Die Volkspartei scheint nach der Eroberung des Bundeskanzleramtes mit sich zufrieden zu sein, anstatt zu reflektieren, dass sie ausschließlich aufgrund von Kurz gewann und nicht aufgrund ihrer parteilichen Leistung. Sie scheint sich auch thematisch, personell und organisatorisch nicht an Kurz' Tempo anzupassen und versinkt in Selbstzufriedenheit. Die derzeit starke Volkspartei hat nun die einmalige Möglichkeit, diese Stärke langfristig zu zementieren, indem sich die Partei für Intellektuelle, Kunst- und Kulturschaffende, junge Start-up-Unternehmer und Aktivisten öffnet und sie einlädt, ein Stück des Weges mitzugehen, was derzeit aufgrund der verkrusteten Jahrzehnte alten Struktur nicht der Fall zu sein scheint.

Sie macht gegenwärtig den Fehler, kein Augenmerk auf die Städte zu legen, obwohl sie ein strategischer Dreh- und Angelpunkt künftiger Erfolge sein werden. Der Auftritt der Volkspartei im urbanen Gebiet – speziell in Wien, muss in den Fokus rücken. Am Land ist man stark, in der Stadt hingegen schwach. Die Wiener Volkspartei hat eine tragische Rolle in der Geschichte. Die intellektuelle Weltstadt Wien haben Julius Raab und Leopold Figl in polarisierten Zeiten den Sozialdemokraten politisch ausgehändigt und die Wiener Obmänner in den Bund geholt, um den Sozialdemokraten nicht auf die Nerven zu gehen und den Fokus auf Niederösterreich zu behalten. Aus der Wiener Volkspartei ist ein Boxenstopp für Wiener VP-Obmänner geworden, die nach kürzester Zeit in den Bund springen.

Aus dieser Teufelsschleife als Anhängsel des Bundes gesehen zu werden, keine Langfristigkeit in die Landespolitik und Landespartei zu bringen und mit einem mickrigen Selbstbewusstsein aufzutreten, konnte sie sich nie wirklich befreien. Unter diesen historischen Umständen konnte nie eine starke urbane Wiener Volkspartei entstehen, die im städtischen Bereich ihr eigenes Gewicht auf die Waage legt und im Bund Einfluss besitzt.

Urbane Stadtpartei

Der Zeitpunkt nach der kommenden Wien-Wahl war noch nie so günstig für die Wiener Volkspartei, sich verstärkt auf Wien zu konzentrieren, ihr eigenes Profil zu entwickeln, das Image als Anhängsel des Bundes loszuwerden und eigene Wege zu gehen. Sie wird allen Umfragen nach aufgrund der Stärke des Bundes zulegen. Leider nicht aus ihrer eigenen Kraft, was ihr Problem, dass sie schwach ist, gut beschreibt.

Dennoch ist dies eine exzellente Voraussetzung, um neues Personal an Bord zu holen, mit der eigenen Geschichte aufzuräumen und endlich eine urbane Stadtpartei mit dem Gewicht zu werden, das ihr gebührt. Ein neues Kapitel der Geschichte zu schreiben liegt in ihren Händen.

Der gegenwärtige Landesparteiobmann der Wiener Volkspartei, Gernot Blümel, ist sehr fähig und hat eine ungeheuer wichtige Aufgabe in der Bundesregierung. Es wäre ein Fehler, ihm zu sagen, er solle diese Aufgabe sein lassen und nur mehr Wien machen. Andererseits ist es aber auch ein Fehler zu glauben, dass man mit so vielen Verpflichtungen auch die Herausforderungen der Wiener Volkspartei meistern kann. (Muamer Becirovic, Erhard Busek, 11.6.2018)