Kurz vor Schulschluss habe ich einem Gespräch von zwei Müttern zugehört. Die eine hat der anderen Mut zugesprochen. "Du schaffst das", sagte sie. "Aber wie?", fragte die andere schon ein wenig verzagt. Klingt dramatisch, dachte ich und dann die Auflösung: Niemand ist krank, keine Umzüge, aber ein Ferienlager des Kindes steht vor der Tür. Das Problem? Handys, Tablets und sonstige digitale Geräte sind dort verboten.

Vier Wochen, ohne von seinem Kind zu hören, ohne täglich Bescheid zu wissen, wie es ihm geht. Die eine Mutter wirkte besorgt. "Ach was", sagte ihr die andere. "Was soll schon sein? Wenn wirklich was ist, wirst du eh verständigt. Und den Kindern geht es gut." Ihr Kind hatte das im Vorjahr auch gemacht. "Die lieben das Ferienlager!" Und wenn das Kind Heimweh bekommt? "Dann trösten sie es, und so schnell bekommen die Kinder nicht Heimweh. Wir haben das ja als Kinder auch geschafft!"

Das Kind durfte doch nicht mit aufs Ferienlager, habe ich später erfahren. Für die Mutter war es noch zu früh. Sie konnte sich noch nicht von ihrem Kind trennen, dann doch lieber vier Wochen Großeltern. Vielleicht nächstes Jahr.

Auch wenn es schwer fällt - man sollte sein Kind auch mal alleine lassen.
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Spannungsfeld zwischen Schutz und selbstständig werden

Wenn Kinder ihr erstes Handy bekommen, sind in vielen Fällen die Eltern der treibende Faktor. Sie wollen wissen, wo ihr Kind ist, was es macht und "ob eh alles okay ist". Das Handy dient ein Stück weit der Beruhigung der Eltern. Es bleibt in gewisser Weise die Nabelschnur zwischen Eltern und Kindern. Und dennoch: Irgendwann müssen sich Kinder abnabeln dürfen und selbstständig werden. Sie müssen eigene Erfahrungen machen können und sich ihren eigenen Lebensweg bahnen.

Ich treffe in meinem Arbeitsalltag regelmäßig Eltern mit Kindern zwischen zehn und 13 Jahren, die sich schwer damit tun. Ihre Kinder müssen ständig für sie erreichbar sein, sie dürfen nicht allein zu einer Freundin spielen oder einen Freund treffen gehen und manche Eltern verlangen auch, dass ihr Kind sie anruft, sobald es sicher in der Schule angekommen ist. Es müssen ja nicht gleich vier Wochen Feriencamp sein, aber ich rate Eltern dann doch dazu ihre Kinder Stück für Stück loszulassen:

  • Geben Sie Ihrem Kind kleine Aufträge, die es ganz ohne Sie schaffen soll. Halten Sie sich in dieser Zeit zurück, lassen Sie Ihr Kind alleine machen.
  • Verbringen Sie einmal das Wochenende im Freundeskreis, ohne dass Sie Ihr Kind anrufen oder per WhatsApp kontaktieren.
  • Vereinbaren Sie Regeln, wie dass während der Schulzeit kein Handykontakt nötig ist, auch wenn Sie noch so gespannt sind, wie die Schularbeit ausgegangen ist. Erinnern Sie sich daran, dass Sie als Kind eventuell auch froh waren, wenn Sie mit der einen oder anderen Schulnachricht noch ein paar Stunden warten konnten, bis Sie es den Eltern beichten mussten. 

Gerüstet für den Krisenfall – auch ohne Handy

Und: Besprechen Sie mit Ihrem Kind, was es in einem Krisenfall tun kann, auch ohne Handy. Auch diese Gespräche stärken Sie und Ihr Kind im Umgang mit gefährlichen Situationen. Sie können selbstsicherer sein, dass Ihr Kind in Richtung Selbstständigkeit geht und nicht kopflos handeln wird und sich so noch mehr in Gefahr bringen könnte.

Lassen Sie Ihrem Kind und Ihnen Raum und Zeit, damit die digitale Nabelschnur über die Jahre hinweg kleiner wird. Erleben Sie, dass Ihr Kind auch selbstständig werden kann, haben Sie Vertrauen und trauen Sie Ihrem Kind auch einmal etwas zu. Lassen Sie Ihrem Kind zunehmend mehr Freiraum und Gestaltungsspielraum. Auch Sie haben dies in Ihrer eigenen Kindheit geschätzt, oder? (Barbara Buchegger, 20.7.2018)

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