Wie soll man Kinder mit Deutschdefiziten am besten fördern? Diese Frage spaltet die Schulexperten.

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Die neue Innsbrucker Stadtkoalition: Christine Oppitz-Plörer, Elisabeth Mayr und Bürgermeister Georg Willi. Laut Mayr hat man sich darauf verständigt, gegen die Deutschförderklassen aufzutreten.

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Gewerkschafter Paul Kimberger sieht noch viele offene Fragen bei den Regierungplänen.

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Wien – Gegen die ab Herbst geplanten separaten Klassen für Kinder, die nicht ausreichend gut Deutsch sprechen, regt sich weiter Widerstand. Nun hat die neue Innsbrucker Stadtregierung in ihrem Koalitionspakt vereinbart, gegen die separaten Klassen aufzutreten. Entgegen vorigen Meldungen, die von einem Innsbrucker Boykott sprachen, sagt Bildungsstadträtin Elisabeth Mayr (SPÖ) im STANDARD-Gespräch: "Von einem Gesetzesbruch war nie die Rede. Natürlich respektieren wir rechtliche Vorgaben." Man werde sich aber für eine Verschiebung der Deutschklassen auf das Schuljahr 2019/2020 und für eine Abänderung der Reform einsetzen, so Mayr.

Schüler "überfordert"

Sollten die Klassen schon im Herbst starten, wäre das für die Schulen und Schüler nämlich "eine totale Überforderung", so Mayr. Bis dato wisse niemand, wie viele Klassen es geben werde, wie viele Räume und wie viele Lehrkräfte Schulen dafür bereitstellen müssen. Im Sommer könnten diese Vorbereitungen aber gar nicht getroffen werden, da die Schulleitungen nicht anwesend seien. Die Umsetzung müsste also gegen Ende der Schulferien "in kürzester Zeit" erfolgen.

Kritik gibt es aber nicht nur am Zeitplan, sondern auch am Inhalt der Reform. Dass zugleich bei der begleitenden Sprachförderung und bei der Frühförderung gekürzt wird, sei "eine klare Verschlechterung für die Kinder".

Widerstand in Wien

Auch in Wien gibt es Widerstand. Einige Lehrer und Direktoren hatten einen Boykott in den Raum gestellt.

Faßmann: "Es gibt Dienstverpflichtung"

Dafür zeigt Bildungsminister Heinz Faßmann auf STANDARD-Anfrage kein Verständnis. Indirekt droht er den Betroffenen mit dienstrechtlichen Konsequenzen. "Gesetze müssen in dieser Republik eingehalten werden", so Faßmann. "Es gibt auch so etwas wie eine dienstrechtliche Verpflichtung, damit möchte ich es bewenden lassen – und ich glaube, dieser Hinweis ist ausreichend."

Darum gehe es aber gar nicht, sagt Ilse Rollett, AHS-Direktorin im sechsten Wiener Bezirk: "Natürlich halten wir alle die Gesetze ein, das ist klar" – man werde aber bis zuletzt kämpfen, damit es doch noch zu einem "Umdenken" kommt. Denn die separaten Klassen seien "problematisch".

Gymnasien haben die Wahl

In ihrer Schule werde es die separaten Klassen jedenfalls nicht geben, so Rollett. Boykott sei das aber keiner: Als Gymnasiumsdirektorin "habe ich es leicht, ich kann es mir aussuchen". Gymnasien müssen außerordentliche Schüler, also Schüler ohne ausreichende Deutschkenntnisse, nämlich nur aufnehmen, wenn sie genügend Platz haben. Eine separate Klasse findet ab acht Schülern statt – ein Gymnasium kann also bis zu sieben außerordentliche Schüler aufnehmen und beim achten "Njet" sagen, um die "Ghettoklasse" zu umgehen. So weit würde es an Rolletts Schule aber ohnehin nicht kommen, sagt die Direktorin – "wir haben gar nicht so viel Platz".

De facto könnten die separaten Klassen also die Kluft zwischen Gymnasium und Neuer Mittelschule noch vertiefen: Während die Gymnasien künftig ohne separate Klassen arbeiten können, steht den NMS diese Option nicht offen. Sie müssen die Deutschklassen führen.

Kritik von Gewerkschaft

Wie, ist aber weitgehend unklar. Es gebe keine Planungssicherheit, kritisiert auch die Pflichtschullehrergewerkschaft. Niemand wisse, wie die Schüler sprachlich eingestuft werden, wie die Lehrpläne aussehen, wie die Klassenräume organisiert werden, so Gewerkschaftsvorsitzender Paul Kimberger.

Die Lehrervertreter fordern, dass auf örtliche Gegebenheiten Rücksicht genommen wird, schließlich gebe es bereits jetzt "bestehende, erfolgreiche Sprachfördermodelle an einzelnen Standorten", so Kimberger. Diese könne man weiterhin nutzen.

Am Mittwoch ist ein Treffen von Gewerkschaftsvertretern mit Vertretern des Bildungsministeriums geplant.

Auch Wiens Stadtschulrat Heinrich Himmer hat am Dienstag im Bildungsministerium noch einmal seine Bedenken deponiert. Demnächst werde man dem Ministerium eine Liste an Standorten übermitteln, "über die man gesondert sprechen muss", so Himmer. Laut Ministerium geht es in Wien um acht Standorte, die besonders problematisch sind.

Offen ist, welche sprachlichen Fördermaßnahmen in Zukunft zur Verfügung stehen. Ob es beispielsweise für die Gymnasiums-Oberstufe weiterhin Zugang zu Deutschfördermaßnahmen geben wird, sei derzeit noch völlig unklar, sagt Direktorin Rollett. (Manuela Honsig-Erlenburg, Maria Sterkl, 12.6.2018)