Eine Ansprache ist immer auch eine Frage der Inszenierung. Niemand weiß das besser als das Oberhaupt der römisch-katholischen Christen.

CTV, Célestes, Solares, Neue Road Movies, Decia, PTS ART's Factory

Regisseur Wim Wenders traf den Papst zu ausgedehnten Gesprächen.

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Wenn ein Papst spricht, dann spricht immer ein Mensch – aber eben nicht nur. Das Amt des Vicarius Christi, des Stellvertreters des auferstandenen Christus auf Erden, bringt es mit sich, dass jeder päpstliche Sprechakt eine komplexe Angelegenheit ist. Zwischen dem Damals der Bergpredigt Jesu und dem Heute einer Predigt vor Gläubigen oder einer Rede vor Politikern sieht die Kirche eine geheimnisvolle Verbindung. Im 19. Jahrhundert war man sich dieser Verbindung schon so unsicher, dass man sie dogmatisch festschrieb: Es gibt Situationen, in denen ein Papst "ex cathedra" spricht, in solchen Fällen ist seine Rede "unfehlbar".

Man riskiert nicht allzu viel, wenn man dem gegenwärtigen Papst Franziskus unterstellt, dass er sich auf dieses Dogma der Infallibilität, wie der lateinische Fachausdruck lautet, niemals berufen wird. Er setzt seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren auf eine ganz andere kommunikative Strategie.

Probleme mit der "message control"

Ihm ist nicht an dem kostbaren, alles entscheidenden Satz gelegen – lieber redet er viel und häufig, und er redet in erster Linie als Mensch, als gläubiger Jünger Jesu. Daraus ergeben sich Probleme mit der "message control", denn die Kirche ist nun einmal auch ein politischer Apparat, und nicht immer können Kurie und Kollegium sofort wieder einfangen, was der auch in Angelegenheiten der Verkündigung eilige Vater so entfleuchen lässt.

Die Eigenheiten päpstlichen Sprechens stehen nun auch im Mittelpunkt eines Dokumentarfilms, den der deutsche Regisseur Wim Wenders über das Oberhaupt und den ersten Diener der römisch-katholischen Christen gemacht hat: Franziskus – Ein Mann seines Wortes kam auf Initiative des Vatikans zustande, es handelt sich also um eine Auftragsarbeit, um eine Art offiziöses Dokument. Allerdings wird sich jemand wie Wenders, der sich vielleicht mit seinem Engelfilm Der Himmel über Berlin für die Aufgabe qualifiziert hat (oder doch mit Buena Vista Social Club?), nicht einfach zum Sprachrohr degradieren lassen.

Im besten Sinne menschlich

Aus dieser Konstellation ergibt sich eine interessante Struktur für den Film: Papst Franziskus spricht, aber Wenders erteilt ihm das Wort. Zentral sind Interviewpassagen, in denen Jorge Mario Bergoglio (so der bürgerliche Name des gebürtigen Argentiniers) in seiner Muttersprache Spanisch von seiner Beziehung zu Jesus und von vielerlei mehr erzählt. Die Interviews sind so gefilmt, dass der Papst direkt in die Kamera und zu Wenders spricht, den wir uns auf der anderen Seite denken müssen.

Franziskus zeigt sich in diesen Passagen von seiner besten Seite, und das bedeutet: Er zeigt sich im besten Sinne menschlich, ganz und gar nicht "ex cathedra", auch wenn die Bildkomposition fast danach aussieht. Die christliche Tradition kennt auch ein Wort für die Art und Weise, wie Franziskus spricht: Er zeichnet sich durch "Freimut" aus. Das griechische Wort "Parrhesia" stammt aus einer Zeit, in der die frühe Kirche große Hoffnungen auf den Heiligen Geist setzte.

Universal Pictures Germany

Wim Wenders wiederum setzt große Hoffnungen auf Papst Franziskus. Mit seinem Erzählkommentar gibt er sich als besorgter, fast schon ein wenig verzagt klingender Zeitgenosse zu erkennen. Franziskus könnte einer sein, der die Menschen zur Umkehr bewegt. Denn mit dem, was heute zählt, wird die Menschheit nicht weit kommen. Die Reisen des Heiligen Vaters führen denn auch von einer Krisenregion in die nächste.

Wenders ist nicht überall mitgefahren, in vielen Fällen greift er auf Archivmaterial zurück, und so bekommt man ausführlich Gelegenheit, den Papst beim Händeschütteln, Füßewaschen und Winken zu sehen. Komischer Höhepunkt ist dabei ein unbekannter Beobachter aus dem Off, der die päpstliche Limousine kommentiert: ein "Winzmobil" im Vergleich zu den üblichen Karossen. Vor allem aber reist Franziskus, um unterwegs zu sprechen. Seine Rede vor dem US-Kongress ist Sinnbild für das heutige Verhältnis von Kirche und Welt: Ein Mann in Weiß redet einer Masse von abgehärteten Ledergesichtern ins Gewissen.

Heilige Einfalt

Dass Franziskus sich selbst als eine charismatische Ausnahme versteht, hat er mit der Wahl seines Amtsnamens zu erkennen gegeben. Zum ersten Mal berief sich ein Papst auf Franz von Assisi, den Inbegriff christlicher Demut, heiliger Einfalt und früher Naturmystik. Wim Wenders würdigt diese Namenswahl mit einem Film im Film, den er mit einer Handkurbelkamera gedreht hat: So hat er (nach Roberto Rossellini und Franco Zeffirelli) auch noch einen Franziskus-Film gemacht, als erbaulicher Einschub in einen Film, der an einem wirklichen Porträt nicht interessiert ist, sondern letztlich doch vor allem dem Plaudercharisma eines sympathischen Idealisten eine große Bühne errichtet. (Bert Rebhandl, 13.6.2018)