Der Calcio Storico in Florenz ist ein fußballähnlicher Kampfsport. Beim heurigen Turnier ändert sich einiges.

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Beim Calcio Storico, einer Mischung aus Rugby, Boxen und Szenen aus Vier Fäuste für ein Halleluja, treffen vier Mannschaften aufeinander: die Blauen, die Weißen, die Roten und die Grünen.

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Ziel des 50-minütigen Spieles ist es, einen Ball irgendwie auf der mit Sand bedeckten Piazza Santa Croce in ein langes Netz des Gegners zu befördern.

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Damit das Finale am 24. Juni, dem Johannistag (San Giovanni ist der Schutzheilige von Florenz) ohne Randale abläuft, wurden die Spielregeln strenger: Schläge auf den Kopf und den Nacken sind verboten, wenn sie nicht in sauberer Boxsportmanier ausgeführt werden.

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Die Szenerie erinnert frappant an einen Film mit Bud Spencer, nur dass es wirklich wehtut: Ein Mann mit Glatze, Vollbart und blauer Kasperlhose rennt auf ein Heer von Muskelpaketen in weißen Pluderhosen zu, sucht sich seinen Widersacher aus und schlägt mit beiden Fäusten zu. Einmal links, einmal rechts, schon liegen die beiden am Boden und wälzen sich im Sand, während ein anderer mit dem Ball entkommt und wieder andere nur dastehen und zuschauen. Die Situation ist unübersichtlich, längst nicht so geordnet wie beim American Football, wo alle übrigen Spieler in dem Moment erstarren, wenn der Mann mit dem Ball gestoppt wurde. Im nächsten Augenblick scheint das blau-weiße Chaos perfekt.

Halbfinale abgebrochen

Gut die Hälfte der 54 weißen und blauen Spieler hat eine Massenschlägerei begonnen, als hätte sie gerade erfahren, dass in Italien die Lira anstelle des Euro wiedereingeführt wird. Polizei strömt auf den 30 mal 60 Meter großen Sandplatz mitten in Florenz, versucht zu beruhigen. Die andere Hälfte der Turnierteilnehmer steht teilnahmslos herum, vielleicht traurig, möglicherweise beleidigt, weil gerade niemand zum Sandspielen da ist. Einer in blauer Hose, das Hemd wurde ihm längst vom Leib gerissen, zündet sich mitten auf dem Spielfeld eine Zigarette an und wartet ab, wie es weitergeht. Doch es ging nicht weiter. Nicht im vergangenen Jahr, das Halbfinale wurde abgebrochen.

Historischer Fußball

Im Jahr 2018 fährt die italienische Fußballmannschaft bekanntermaßen nicht nach Russland. Für die einen eine nationale Katastrophe, für andere Grund zur Hoffnung: Italienreisende dürfen heuer tatsächlich damit rechnen, dort auf eine fußballfreie Zone zu treffen. Italienische Baristas, Trattorienbetreiber und Besitzer von Pizzerien haben bereits großspurig angekündigt: Die Fernseher bleiben während der Übertragung der WM-Matches aus. In Florenz' Altstadt wird allerdings wie fast jedes Jahr seit 1530 historischer Fußball gespielt. Oder so etwas Ähnliches.

Kaum Regeln

Beim Calcio Storico, einer Mischung aus Rugby, Boxen und Szenen aus Vier Fäuste für ein Halleluja, treffen vier Mannschaften aufeinander: die Blauen, die Weißen, die Roten und die Grünen. Sie repräsentieren die vier historischen Pfarrbezirke der Stadt: Santa Croce, Santo Spirito, Santa Maria Novella und San Giovanni. Ziel des 50-minütigen Spieles ist es, einen Ball irgendwie auf der mit Sand bedeckten Piazza Santa Croce in ein langes Netz des Gegners zu befördern. Bei einem Treffer gibt es einen Punkt, geht der Ball daneben, bekommt der Verteidiger einen halben Punkt.

Regeln werden den jeweils 27 Spieler zählenden Mannschaften kaum auferlegt: Von hinten zuschlagen und Fußkicks gegen den Kopf sind verboten, ansonsten ist jedes Mittel recht und billig, um den Gegner auf seinem Weg zum Netz niederzuringen. Unterbrochen wird das fast 500 Jahre alte Spiel nur, wenn Sanitäter auf den Platz müssen – oder wenn, wie im Jahr 2017, die Polizei kommt.

Ohne Blaue

Der Calcio Storico 2018 schien ein Verkaufsschlager zu werden im WM-Jahr ohne Azzurri, bis Michele Pierguidi, Präsident der blutrünstigen Veranstaltung, eine Woche vor dem Turnierbeginn eine Ankündigung zu machen hatte: Die Azzurri werden auch hier nicht mitspielen. Die Massenschlägerei im Vorjahr hatte Sanktionen für die boxenden Blauen aus Santa Croce nach sich gezogen, also zeigte man sich beleidigt und verkündete: Dieses Jahr werden wir keine Veilchen schlagen, sondern es wird blaugemacht.

Die Stadtregierung im Palazzo Vecchio fand zwar rasch eine Lösung für das Zustandekommen des Turniers – eine Auswahl aus roten und grünen Spielern tritt gegen die Weißen an -, aber das Interesse der Zuschauer drohte zu schwinden. Sogar die Ticketpreise mussten gesenkt werden, um den Florentinern das veränderte Blut-und-Spiele-Konzept schmackhaft zu machen. Doch damit nicht genug: Am 8. Juni begann das Turnier mit Neuerungen bei den Regeln.

Zu wenige Gewaltbereite

Damit das Finale am 24. Juni, dem Johannistag (San Giovanni ist der Schutzheilige von Florenz) ohne Randale abläuft, wurden die Spielregeln strenger: Schläge auf den Kopf und den Nacken sind verboten, wenn sie nicht in sauberer Boxsportmanier ausgeführt werden. Die Veranstalter erhoffen sich davon mehr Sicherheit für die Calcianti, wie sich die Spieler nennen, und auch bessere Überlebensschancen der Sportart.

In den vergangenen Jahren ist es nämlich immer wieder zum Ausfall des Turniers gekommen, weil sich nicht genug Raufbolde fanden. Nachdem zuletzt Vorbestraften die Teilnahme an dem Gladiatorenspiel mit Ball verwehrt worden war, blieben zu wenige gewaltbereite Handwerker, Studenten oder Anwälte aus Florenz übrig (pro Team darf nur ein Spieler zugereist sein), um den Calcio abzuhalten.

Wer am Finaltag ein gewalt- und fußballfreies Florenz erleben will, bekommt übrigens auch eine Chance – aber nur vor dem Turnier. Dann marschieren die Anhänger der Calcianti aus den vier Pfarrbezirken in feschen mittelalterlichen Kostümen friedlich in Richtung Piazza Santa Croce und schwenken bunte Wimpel. Blaue sind halt keine dabei. Es ist ein Jahr ohne Azzurri. (Sascha Aumüller, RONDO, 16.6.2018)

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