Es naht für Max (Andreas Schager) von oben Rettung (Albert Dohmen).

Pöhn

Ob das Eheleben der Inspiration von Künstlerseelen zuträglich ist, mag im Kontext des Freischütz als Thema etwas weit hergeholt erscheinen. Allerdings ist Jägersbursch' Max an der Wiener Staatsoper – warum auch nicht! – zum Komponisten umgepolt worden. Er sehnt sich nach der Verbindung mit der holden Agathe. Er leidet jedoch vor der möglichen Vermählung an musikalischer Ladehemmung – seine Oper will nicht so recht gedeihen: Ist Max' Unbewusstes längst mit der Komponierkunst vermählt? Lähmt sie den Tonsetzer aus berechtigter Sorge, Max an Agathe zu verlieren?

Die Inszenierung wirkt in diesem Punkt nicht auskunftsfreudig. Sie ist eher damit beschäftigt, Max' halluzinatorischen Zustand zu bebildern: Es fliegen die Notenblätter, es veräppeln die Chormassen einen Notensucher, der sich unter dem Klavier vor den eigenen Operngeschöpfen versteckt. Im ersten Akt, nachdem es im Orchestergraben bei der Ouvertüre an expressiven Stellen ein wenig grob zugegangen war, zeigt Regisseur Christian Räth immerhin seine Kunstfertigkeit im Umgang mit dem Einzelnen und dem Kollektiv.

Der energische Staatsopernchor wirkt als aufgedrehter, gesichtsblasser Repräsentant des 19. Jahrhunderts. Er bedrängt Max als geisterhafter Albtraum. Und dies bringt Bühnenleben fernab jener Opernklischees, die an der Staatsoper gern Hauptrollen übernehmen. Ob des etwas vampirhaften Äußeren von Max, dessen Verzweiflung Andreas Schager mit Klarheit und Inbrunst regelrecht herausschmettert, schleicht sich jedoch bald eine gewisse Verwunderung bezüglich der optischen Ausrichtung des Ganzen ein. Der geplagte Notenschreiber wirkt wie der Munsters-Opa (aus der altehrwürdigen TV-Serie). Und dies, obwohl er noch gar nicht der dunklen Seite der Kreativmacht verfallen ist.

Weg mit der Blockade

Das untote Aussehen seines Scheinfreundes Caspar (respektabel: Alan Held) wirkt da schon logischer. Dieser Intrigant, dem einst Agathe einen Korb gab, ist längst den düsteren Kräften verfallen. Mit Samiel steht er in geschäftlicher Beziehung. Nun will er den Opernkomponisten in einen Deal verstricken, wozu es in die Wolfsschlucht gehen sollte. Dort mag das Teuflische die Kreativblockade lösen.

Musikalisch ist da und dort manch deftiger, charaktervoller Akzent zu vernehmen, was die Dramatik der Szenen inspiriert oder überinspiriert. In jenem Moment, in dem gemeinhin Kugeln für das finale Schießfest gegossen werden, fliegen Max ja nicht nur Notenblätter zu. An der Staatsoper hält man nichts davon, Expressiv-Dämonisches stilisiert zu vermitteln: Es brennt plötzlich ein Klavier. Es brennt bald auch die ganze Bude, die als trichterartig angelegtes Spiegelkabinett ausgestattet ist (Bühne: Gary McCann).

Das "hilfreiche" Böse, also Samiel (Hans Peter Kammerer), hängt derweil an der Decke wie eine rote Fledermaus. Seltsame Gestalten mit Rabenköpfen wuseln dazu als von den Schwefelmächten eingesetzte Musen herum. Es ist eine Partitur des Teufels, die hier entsteht, sie wirkt optisch allerdings teuer mit plumper Gruselästhetik erkauft. Im Rausch der ironiefreien Überzeichnung scheint quasi Roman Polanskis Film Tanz der Vampire nachgestellt worden zu sein, um den Wurstelprater zu einer möglichen Übernahme der Produktion zu animieren. Dazu wurde ein Pakt mit den Kirmesdämon geschlossen.

Küsse für Agathe

Es geht auch diskreter: An einer Stelle fällt das Bild des Freischütz-Komponisten Carl Maria von Weber zu Boden, während durch die entstandene Wandöffnung Agathe und Ännchen hereinkriechen. Camilla Nylund markiert dabei den eher behäbigen Teil der Szene. Vokal gelingen ihr zarte Töne in Höhenregionen. Ansonsten würzt sie ihre vokale Robustheit grundsätzlich mit skulpturaler Darstellungskunst. Daniela Fally wiederum, Agathe mit eindeutigen Küsschen überhäufend, ist der gelungene Aspekt dieser Inszenierung. Fally – flexibel mit zumeist makellosen, edlen Linien unterwegs – belebt die Rolle quirlig und ohne zu outrieren.

Mit tragischer Konsequenz mündet der Abend allerdings in unfreiwilliger Komik. Der Eremit (Albert Dohmen) schwebt vom Himmel per Kronleuchter herab: Gandalf, mitten in eine Vampirparty gebeamt, bei der die Regie ihre letzte Kraft verlor? Selbst Adrian Eröd (als Ottokar vokal glänzend) waltet nur gravitätisch seines Amtes. Wer weiß: Vielleicht wird diese ausgebuhte Inszenierung noch ein trashiger Hit. Es ist nicht alles verloren und zumindest nicht zu spät für das Staatsopernorchester und Dirigent Tomás Netopil. Sie könnten die vitalen und bisweilen schillernden Momente noch einer Verfeinerung unterziehen. (13.6.2018)