Wien – Journalisten sind an vielem schuld, etwa auch an jenem Schmäh, den Thomas Bauer eher zufällig kreiert hat. Der Schmäh hat damit zu tun, dass es Handballteams, die im Ballbesitz sind, seit geraumer Zeit gestattet ist, den Goalie vom Feld zu nehmen und einen zusätzlichen Feldspieler zu bringen. Das soll die Trefferquote und die Attraktivität erhöhen, viele Experten waren allerdings skeptisch und sind es nach wie vor. Kommt die verteidigende Mannschaft in Ballbesitz, hat sie die Chance auf ein Empty-Net-Tor. "Und Empty-Net-Tore haben im Handball eigentlich nichts verloren", sagt Bauer, der österreichische Teamgoalie.
Sein Schmäh ist flott erklärt. Bauer kauerte einmal in einem Länderspiel neben dem Tor, um einen Schluck aus seiner Wasserflasche zu nehmen, da verloren seine Vorderleute den Ball. Ein gegnerischer Spieler, der nur das leere Tor und also die Chance auf einen billigen Treffer sah, zog aus großer Entfernung ab, Bauer sprang vors Tor und parierte den Wurf ganz locker. Nach der Partie wurde er von einem Journalisten auf die Aktion angesprochen, erst dadurch kam Bauer auf die Idee, den Schmäh zu kultivieren. Er bat den Schreiberling, erst darüber zu berichten, sollte der Plan noch ein zweites Mal aufgehen.
Im nächsten Match machte sich der Keeper, diesmal bewusst, neben dem Tor ganz klein – der nächste Wurf, die nächste Parade. Jetzt hatte der Journalist seine Story. Und Bauer hatte eine Variante entwickelt, die er auch bei seinem Verein Arendal, mit dem er kürzlich norwegischer Vizemeister wurde, das eine oder andere Mal gewinnbringend einsetzte. "Erst der Finalgegner war vorgewarnt und darauf eingestellt."
Um Einstellung geht es auch im Rückspiel gegen die Weißrussen, das am Mittwoch (20.15, ORF Sport+), in der Erste-Bank-Arena steigt, wie die Schultz-Halle in Wien-Kagran nun heißt. In Minsk hat Österreich im Finish zwar einen Viertorevorsprung verspielt, aber ein 28:28 erreicht. Das nährt die Hoffnung, die WM-Endrunde 2019 zu erreichen, die von Deutschland und Dänemark veranstaltet wird. Im Erfolgsfall wäre Österreich in diesem Jahrzehnt zum dritten Mal nach 2011 und 2015 für eine WM qualifiziert, drei EM-Teilnahmen (2010, 2014, 2018) kommen dazu, das kann sich schon sehen lassen.
Stete Entwicklung
Thomas Bauer will seinen Teil dazu beitragen. Der 31-Jährige hat viel Routine, schon 2009 wechselte er von Margareten nach Deutschland, sechs Saisonen dort folgten drei weitere in Frankreich, nach dem Gastspiel in Norwegen ist er aktuell auf Vereinssuche. Ständig ist Bauer dabei, sich und sein Spiel weiterzuentwickeln. "Für Torhüter geht es heute immer weniger ums automatische Reagieren, dafür immer mehr ums Analysieren."
Vor allem Goalies setzen sich vor Spielen intensiv mit den gegnerischen Werfern auseinander. Bauer weiß genau, wer da durch die Mitte, vom Kreis oder vom Flügel auf ihn zukommt. Und er hat sich ausgerechnet, was passieren könnte. "Natürlich bleibt Intuition wichtig", sagt Bauer, "aber im besten Fall gelingt es mir schon zu wissen, welcher Fall gleich eintreten wird." Das nennt man Wahrscheinlichkeitsrechnung mit dem Risikofaktor, dass natürlich auch gegnerische Werfer um die genaue Vorbereitung des Torhüters wissen und sich gegebenenfalls etwas Neues einfallen lassen.
Österreichs isländischer Teamchef Patrekur Jóhannesson hofft auf mannschaftliche Geschlossenheit, wie sie Österreich schon auswärts ausgezeichnet hat. Was er sich wünscht? "Kompakte Abwehr, disziplinierte Deckung, Geduld im Angriff, Gefährlichkeit von allen Positionen." Wenn dazu noch der eine oder andere Schmäh aufgeht, umso besser. (Fritz Neumann, 12.6.2018)