Bayreuth – Spinnenseide – "stärker als Stahl" – ist für Materialforscher seit jeher interessant gewesen. Im Vordergrund steht dabei ihre hohe Festigkeit in Verbindung mit Flexibilität, erhoffte Anwendungen für künstliche Spinnenseide reichen von Stützstrukturen verschiedener Art über kugelsichere Westen bis gar zur Vision eines Weltraumlifts.

Medizinische Anwendungen

Weniger bekannt, aber dafür in der Entwicklung schon weiter fortgeschritten sind Versuche, künstliche Spinnenseide in der Medizin anzuwenden. Das Grundprinzip: Aus dem Grundmaterial werden Partikel hergestellt, die Wirkstoffe ans gewünschte Ziel bringen. Wie die Universität Bayreuth berichtet, könnte so die Effizienz von Immuntherapien gegen Krebs oder Tuberkulose signifikant gesteigert werden. Auch für Impfungen gegen Infektionskrankheiten oder für die Impfstoff-Lagerung ließe sich die Methode einsetzen.

"Die biotechnologisch hergestellten Biopolymere der Spinnenseide, aus denen wir die neuen Transportpartikel im Labor gefertigt haben, sind ungiftig, lösen keine Immunreaktion aus und haben keinerlei andere schädliche Auswirkungen auf den Organismus", sagt Thomas Scheibel, Inhaber des Lehrstuhls für Biomaterialien an der Universität Bayreuth.

Immuntherapien

Damit das Immunsystem des Menschen gegen bereits ausgebrochene Krebs- oder Tuberkuloseerkrankungen aktiv werden kann, ist es erforderlich, bestimmte Immunzellen – die T-Lymphozyten – zu stimulieren. Dafür muss ein kleines Eiweißmolekül, ein Peptid, in die Zellen eingebracht werden.

Diesen Wirkstoff auf dem üblichen Weg in den Blutkreislauf zu injizieren, ist aber leider wenig effizient. Denn so wird das Peptid größtenteils im Organismus abgebaut, noch bevor es die Immunzellen erreicht. In Spinnenseide verpackt, gelangt es jedoch sicher ans Ziel.

Thema Impfungen

Die Partikel eignen sich aber ebenso gut, um Impfstoffe zielgenau in die B-Lymphozyten einzuschleusen. Diese Immunzellen lösen die Produktion von Antikörpern aus, die fähig sind, Erreger von Infektionskrankheiten zu erkennen und unschädlich zu machen. Bei Impfungen kommt aber noch ein zweiter Punkt hinzu, nämlich die Lagerung der Impfstoffe, die vor allem in tropischen Regionen noch immer ein großes Problem darstellt. Denn werden die Impfstoffe hohen Lufttemperaturen ausgesetzt, sinkt ihre Wirksamkeit.

Doch die Transportpartikel aus Spinnenseide haben sich im Labor als außerordentlich widerstandsfähig erwiesen: Sie halten über mehrere Stunden sogar Temperaturen von mehr als 100 Grad Celsius stand und sind in der Lage, die Impfstoffe vor zu starker Temperatur- und Lichteinwirkung zu schützen.

Die Wissenschafter betonen allerdings, dass es bis zur Anwendung in der klinischen Praxis noch ein langer Weg ist. "Eine Vielzahl weiterer Tests ist nötig, bis die Wirkstoff-Transporter tatsächlich bei der Behandlung schwerer Erkrankungen eingesetzt werden dürfen", sagt Scheibel. (red, 13. 6. 2018)