So wie Sebastian Kurz derzeit in der Weltgeschichte herumflitzt, kann es schon geschehen, dass ihm einiges entfährt, das weniger politischer Ehrlichkeit und Vernunft geschuldet ist, hingegen mehr der Rolle als Salvator-Mundi-Aufguss, die er sich auf den Leib geschneidert hat. Zuletzt ist ihm eine "Achse der Willigen" eingefallen, in der er gemeinsam mit italienischen Rechtsextremisten und bayerischen Kreuz-Rittern der deutschen Bundeskanzlerin zeigen will, wie man mit Asylsuchenden umgeht. Die Chuzpe dazu könnte ihm ein paar Tage zuvor Benjamin Netanjahu eingeflößt haben, von dem er sich über die Maßen für seine "Kühnheit" preisen ließ, wieder einmal festgestellt zu haben, dass Österreich nicht nur Opfer, sondern auch nationalsozialistische Täter hervorgebracht hat.

Die Latte für diese Korrektur einer lange gepflegten Lüge hat freilich im vorigen Jahrhundert ein kühner Franz Vranitzky gelegt. Die Erinnerung daran wachzuhalten war und ist seither eine moralische Pflicht österreichischer Politiker (nicht nur) auf Israel-Reise, Kühnheit konnte sie aber erst wieder aus dem Munde von Kurz beanspruchen. Vranitzky hat aus der Trennung von einer Geschichtslüge die Konsequenz gezogen und die Koalition mit ihren Vertretern aufgekündigt. Kurz ist den umgekehrten Weg gegangen, er hat sich seine Kanzlerschaft durch eine Koalition mit Leuten erkauft, die vor der Welt ihren Rassismus durch die Umpolung des verstaubten Ressentiments in einen modernen Ausländerhass schönreden wollen.

Ohne sich von der Tradition völlig zu verabschieden. Wenn der Regierungschef Ungarns seinen Wahlkampf mit einer antisemitischen Hetzkampagne bestreitet, gibt es von den neuen österreichischen Freunden Israels kein Wort kühner Kritik, nur begeisterten Applaus. "Null Toleranz bei Antisemitismus", die sich Kurz von Netanjahu bestätigen ließ, ist jedenfalls insofern eine Kühnheit, als sie billig an der Staatsgrenze endet. Daher steigerte sich Kurz auch in den hochtrabenden Begriff "Staatsräson" zur Beschreibung von Österreichs Verpflichtung Israel gegenüber.

Da sollen sich die Österreicher wohl denken, das muss schon ein Staatsmann sein, der sie vom Ausland her wissen lässt, was die Räson ihres Staates sein soll – und deren kühne Inkarnation im Alter von 31 Jahren war auch längst fällig. Leider hat er zu Hause eine Regierung, die zur Hälfte in Israel nicht offiziell empfangen wird, was die dunkle Seite der österreichischen Staatsräson darstellt. Sie ein wenig zu erhellen, auf dass sich die israelischen Kontakte zum hiesigen Außenministerium ein wenig intensivierten, sollte angesichts der Lobhudeleien für Kurz den Kühnen schon abfallen.

Wenigstens so versucht er, die Vergehen auszubügeln, denen er seine Kanzlerschaft verdankt. Staatsräson wäre es gewesen, eine Koalition mit dieser FPÖ erst gar nicht einzugehen. Das Gegenteil davon war es, ihr das Innenministerium zu überlassen, und ist der Angriff auf einen öffentlich-rechtlichen ORF. Und sollte behauptet werden, des Kanzlers neue "Achse der Willigen" entspräche österreichischer Staatsräson, wäre diese Kühnheit mit der Erinnerung zu dämpfen, dass nur schäbigste Parteiräson vorliegt. (Günter Traxler, 14.6.2018)