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"Bologna führte dazu, dass Hochschulen sich immer mehr im Wettbewerb behaupten müssen – und wiederum zu einem Wildwuchs an Studienfächern. Früher gab es hundert verschiedene Angebote, heute tausende", sagt Bildungswissenschafterin Gaisch.

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Martina Gaisch, Hochschulexpertin.

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STANDARD: Vor 20 Jahren startete der Bologna-Prozess. Wie hat Österreich die Ziele umgesetzt?

Gaisch: Ich würde sagen: Österreich ist auf einem guten Weg. In puncto Mobilität der Studierenden und Lehrenden ist man vergleichsweise gut dabei. Genauso bei der Umstellung auf die drei Abschlüsse Bachelor, Master, PhD – sie wurde an den Universitäten großteils umgesetzt, an den Fachhochschulen nahezu flächendeckend.

STANDARD: Konkret werden an den Unis 80 bis 85 Prozent der Studien im Bologna-Modell angeboten. An den FHs ist die Umstellung quasi vollzogen. Sind sie also erfolgreicher in der Umsetzung von Bologna?

Gaisch: Die Fachhochschulen tun sich mit der Umsetzung leichter. Das liegt mitunter daran, dass ihnen viele Ziele, die mit Bologna verfolgt werden, entsprechen: die Praxisnähe, die Orientierung am Beruf.

STANDARD: Was hat sich an den Fachhochschulen durch Bologna dann überhaupt verändert?

Gaisch: Vor Bologna waren die Qualität in der Lehre oder Beschäftigungsfähigkeit noch kein so großes Thema. Vor der Reform gab es eine bunte Bauklötzesammlung an unterschiedlichen Lehrplänen. Heute ist es ein Baukasten, ein sehr starrer, mit detaillierten Bauanleitungen und exakt bemessenen Teilen. Es ist verschulter, weniger flexibel. Man kann viel weniger "à la carte" studieren als früher.

STANDARD: Genau das stört Kritiker. Viele Bildungswissenschafter und Lehrende wünschen sich, Bologna hätte es nie gegeben. Sehen Sie das auch so?

Gaisch: Das Verschulte und Überreglementierte stört mich ebenfalls, es lässt sich nicht mit einem modernen Bildungsverständnis vereinbaren. Wichtig wäre, dass man lernt, eigenständig zu arbeiten, querzudenken. Ich würde trotzdem keinesfalls zurückwollen. Meiner Meinung nach ist es großartig, dass es diesen gemeinsamen Hochschulraum gibt. Zum einen war das Studiensystem noch nie so durchlässig wie heute. Zum anderen steht das gestufte System mit Bachelor, Master, PhD ganz im Sinne des Life-long Learning: Man kann sich leichter weiterqualifizieren.

STANDARD: Die Absicht war, den Bachelor zum Regelabschluss zu machen. In Österreich machen vergleichsweise viele einen Master, zeigt ein Bericht zur Umsetzung von Bologna. Ein Hinweis darauf, dass der Bachelor am Arbeitsmarkt nicht angenommen wird?

Gaisch: Ja. Das Image des Bachelors ist wirklich ein großes Problem. In manchen Branchen wird er gar nicht als vollwertiger Abschluss akzeptiert – man denke etwa an die Apotheker, die haben nicht einmal ein Berufsbild für einen Bachelor. In den Ingenieurwissenschaften studieren neun von zehn im Master weiter. Viele fordern den Titel "Diplomingenieur" zurück, weil dieser eine weit höhere Akzeptanz im Berufsfeld zu haben scheint.

STANDARD: Ein wichtiges Bologna-Ziel ist Mobilität. Tatsächlich macht nach Angaben der Fachhochschulkonferenz lediglich jeder Vierte ein Auslandssemester.

Gaisch: Das hat höchstwahrscheinlich damit zu tun, dass viele Fachhochschulstudierende bereits arbeiten. Sie sind also weniger flexibel, müssten für ein paar Monate im Ausland alles aufgeben. Was aber sehr wohl zunimmt, ist die sogenannte "degree mobility".

STANDARD: Also dass Studierende für ihren Master an eine andere Hochschule oder ins europäische Ausland gehen ...

Gaisch: Wenn man sich darauf einstellt, ein ganzes Studium woanders zu machen, geht sich der Schritt natürlich leichter. Wir haben auch an unserer Fachhochschule zunehmend Studierende, die ihren Master in einem anderen Land machen. Aber auch umgekehrt: Viele Studierende kommen von anderswo zu uns.

STANDARD: Funktioniert die Anrechnung von Abschlüssen und Lehrveranstaltungen?

Gaisch: Teilweise. Die Auflagen sind oft überzogen. Bologna führte dazu, dass Hochschulen sich immer mehr im Wettbewerb behaupten müssen – und wiederum zu einem Wildwuchs an Studienfächern. Früher gab es hundert verschiedene Angebote, heute tausende. Man kann nicht mehr nur BWL studieren, sondern "International Management" oder "Business and Economics". Kein Wunder, dass die Anrechnung schwieriger wird.

STANDARD: Bei der Bologna-Konferenz der Bildungsminister im Mai wurde "European Universities" forciert: eine Vernetzung einiger Hochschulen, die noch stärker zusammenarbeiten sollen. Ist dies sinnvoll?

Gaisch: Einerseits denke ich, dass das den Exzellenzgedanken befördert, ganz im Sinne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Das Ziel dahinter: einen exklusiven Klub von Eliteunis zu schaffen. Das widerspricht aber einem wichtigen Grundgedanken von Bologna: dem der sozialen Durchlässigkeit. Damit möglichst viele an Bildung teilhaben können, braucht es eine Zusammenarbeit aller Hochschulen auf Augenhöhe. Das ist nicht nur ein moralischer Imperativ, sondern auch essenziell für die nachhaltige Entwicklung einer Wissensgesellschaft. (Lisa Breit, 19.6.2018)