Van der Bellen mahnte Fakten statt Fake-News ein – und rief Europas Nationalisten zu mehr Gesprächskultur auf.

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Wien – Angesichts der anstehenden EU-Ratspräsidentschaft Österreichs im zweiten Halbjahr wandte sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Montag mit einer Grundsatzrede an die Bürger der Union. Bevor das Staatsoberhaupt im gut gefüllten Haus der Europäischen Union am Wiener Ring zu seiner knapp 20-minütigen Ausführung anhob, bediente sich Van der Bellen jedoch eines rhetorischen Kunstgriffs. Er wisse schon, dass es mit Europareden ähnlich sei wie mit den Vorträgen von Stewardessen vor dem Abflug: "Keiner hört mehr hin – ich auch nicht."

In knapp zwei Wochen beginnt die österreichische EU-Ratspräsidenschaft. Für ein halbes Jahr koordiniert die heimische Regierung die Zusammenarbeit in der EU und legt die Schwerpunkte fest.
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Aber wehe, wenn das Flugzeug ins Trudeln komme – daher lohne es sich auch in Sachen Union sehr wohl, genauer hinzusehen. Nicht zuletzt wegen dieses Bekenntnisses folgte das Publikum dann ziemlich aufmerksam Van der Bellens diversen Thesen.

Digitale Grundrechte gefragt

So sieht der Bundespräsident etwa die Freiheit der persönlichen Meinungsbildung in Gefahr – und zwar wegen diverser Internetriesen wie Google oder Facebook, die allzu gern algorithmusgetriebene Nachrichten verbreiten, die nicht gerade "das Ausgleichende, das Differenzierte" in den Vordergrund stellen, sondern lieber das, was Aufregung, was Polarisierung erzeuge – weil die Konzerne dadurch mehr Aufmerksamkeit und Geld lukrierten. Ergo brauche es "dringend digitale Grundrechte".

Doch nicht Einzelstaaten, mahnte Van der Bellen, sondern nur die Union als Gesamtes könne sich mit der Kraft und dem Willen von vielen gegen derartige Tendenzen stellen.

Salamitaktik unerwünscht

Auch auf den wiederaufkeimenden Nationalismus ging der Bundespräsident ein. Die Freiheit des Einzelnen werde etwa durch "die Salamitaktik – und das ist keine Anspielung auf Ungarn – gefährdet", indem "scheibchenweise" etwas "abgezwackt" werde, erklärte Van der Bellen.

Prinzipiell forderte er die Nationalisten Europas sowie "die Vertreter der Zwergstaaterei" auf, nicht ständig bloß auf den eigenen Standpunkt zu beharren und zu glauben, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein: "Akzeptieren Sie die Welt, wie sie ist, in allen ihren Brüchen und Ungereimtheiten, in all ihrer anstrengenden Unordentlichkeit, seien Sie offen für Ihr Gegenüber!"

In diesem Sinn sprach sich Van der Bellen für die typisch "österreichische Lösung" aus, die, anders als radikale Standpunkte, "zur Kenntnis" nehme, dass die Welt nicht nur Schwarz oder Weiß sei, "sondern dass Grauwerte und Schattierungen existieren". Und so könne Europa in den nächsten Monaten durchaus "ein bisschen österreichischer werden". (Nina Weißensteiner, 18.6.2018)