Am Anfang war die wilde Kartoffel nichts weiter als eine mickrige Knolle, giftig, bitter und zu nichts zu gebrauchen. Es brauchte Tausende von Jahren an Kultivierung, bis sie zu dem wurde, was sie heute ist: Eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel der Welt.

Doch wie kam die globale Erfolgsgeschichte des Erdapfels in Gang? Und wie gelang es ihm, sich so tief ins nationale Bewusstsein so vieler Staaten zu graben, dass er in vielen Teilen der Welt nicht aus den Küchen wegzudenken ist? Fragen wie diese stellte sich die Kultur- und Literaturwissenschafterin Johanna Richter vom Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) der Kunstuniversität Linz. "Mich hat interessiert, warum die Kartoffel an so vielen Orten als Symbol der jeweiligen nationalen Identität wahrgenommen wird", sagt Richter. Als Deutsch-Argentinierin hat sie Kartoffel auf beiden Seiten des Atlantiks als Nationalspeise kennengelernt.

Von den Anden bis in die europäischen Tiefebenen: Der Erdapfel ist ein Migrant, der zuerst angefeindet und später erfolgreich assimiliert wurde.
Foto: Matthias Cremer

Der Ursprung der Kartoffel liegt jedenfalls in den südamerikanischen Anden. Die dort ansässigen Quechua tauften sie "papa", Knolle. Die indigene Feldfrucht dürfte in den kargen Hochebenen und Bergen schon seit rund 8000 Jahren angebaut worden sein. Als in den 1530er-Jahren die Spanier das Inka-Reich eroberten, stießen sie bald auf die wohlschmeckenden Knollen, denen auch die unwirtlichen Bedingungen nichts anzuhaben schienen. "Die Spanier brachten die Pflanzen dann auf verschiedenen Wegen nach Europa. Verbürgt ist, dass sie zuerst über die Kanarischen Inseln auf den Kontinent gelangten," schilderte Richter bei der Tagung "Essen und Migration", die vergangene Woche am IFK stattfand. Bekannt ist, dass 1560 die ersten frischen Kartoffeln von Gran Canaria nach Antwerpen verschifft wurden.

Lepra, Gift und Zwangsanbau

Doch es dauerte noch 200 Jahre, bis die Kartoffel ihren Durchbruch als Feldfrucht schaffte. Zu groß war das Misstrauen gegenüber der fremden Pflanze, die als Nachtschattengewächs das giftige Alkaloid Solanin enthält. "Im frühen 17. Jahrhundert stand sie im Verdacht, Lepra zu verursachen, weil die Knollen an lepröse Hände und Füße erinnerten", sagt Richter. "Besonders viel Ablehnung gab es auch dort, wo Regierungen versuchten, sie zu etablieren, etwa in Russland, wo die Bauern die Kartoffel auch als Teufelsapfel bezeichneten."

Nichtsdestotrotz verpflichtete Maria Theresia die Bauern der Monarchie zum Anbau der Knolle, ebenso wie der preußische König Friedrich II, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts "Kartoffelbefehle" erließ. "In Deutschland gab es zum Teil großen Widerstand", berichtet Johanna Richter. Nicht zuträglich für das schlechte Image der Kartoffel war ihre Verwandtschaft mit bekannten europäischen Gift- und Heilpflanzen wie der Schwarzen Tollkirsche und der Alraune. "Auch der Kartoffel wurde eine aphrodisierende, magische Wirkung zugeschrieben. Allein schon, weil sie unterirdisch wächst, wurde sie mit dem Teufel in Verbindung gebracht."

Keine Kartoffeln, kein Papst

Hinzu kamen religiöse Vorurteile und politische Konflikte, die über die Kartoffel ausgetragen wurden. So äußerten die Briten 1765 ihren Widerstand gegen den Katholizismus mit dem Wahlspruch: "No potatoes, no popery" (Keine Kartoffeln, kein Papst). Der Slogan spielte darauf an, dass die Kartoffel nirgendwo in Europa so gut angenommen wurde wie im (katholischen) Irland, wo sie bereits seit 1600 massiv angebaut wurde – was die Iren in den Augen der Engländer zu "Kartoffelfressern" deklassierte.

Für die weit verbreitete Annahme, dass der englische Seefahrer Francis Drake die Kartoffel nach Europa gebracht habe, gebe es keinen Beleg, sagt Richter. "Meine These ist, dass die Engländer im protestantischen Deutschland eher als Überbringer der Kartoffel akzeptiert wurden als die katholischen Spanier." Fest steht, dass die Kartoffel in Kriegs- und Notzeiten die Grundversorgung der europäischen Bevölkerung garantierte und so immer weiter akzeptiert und assimiliert wurde. Vom anfangs exotischen Gewächs wurde sie zum Arme-Leute-Essen, um schließlich die Teller aller Schichten zu erobern.

Podsdamer Schwerekartoffel: So wurde der von Potsdamer Forschern berechnete Geoid getauft.
Foto: GFZ

"Ihre Verbreitung war am größten, als sich im 19. Jahrhundert die Nationalstaaten bildeten", sagt Richter. "Das dürfte auch ein Grund sein, warum die Kartoffel in verschiedensten Ländern zur Nationalspeise wurde." Heute wird der Erdapfel in 130 Ländern angebaut, wächst in jedem Klima auf bis zu 4700 Metern und liefert trotz seiner Genügsamkeit und seinem geringen Wasserverbrauch eine große Portion an Nährstoffen.

Die weltumspannende Bedeutung der Wunderknolle nimmt nicht ab: Ihr wird eine glänzende Zukunft zur Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung prognostiziert. Da passt es nur, dass Potsdamer Forscher 2004 zeigen konnten, dass die Erde ziemlich verbeult ist – und in Wirklichkeit die Form einer Kartoffel hat. (Karin Krichmayr, 24.6.2018)