Bauausstellungen sind etwas aus der Mode gekommen, zu übersättigt ist der Markt mit Hochglanzmagazinen, als dass man sich Gebäude in natura ansehen muss. Dennoch gibt es sie noch. Eins-zu-eins-Bauausstellungen bieten Stadtplanungsformate, die über Wettbewerbe oder andere Verfahren hinausgehen. Die Internationale Bauausstellung (IBA) ist eine deutsche Erfindung. Die erste fand 1901 in Darmstadt statt, die IBA-Standorte der letzten Jahre sind etwas unübersichtlich geworden: Berlin, Heidelberg und Thüringen haben alle ihre eigene IBA. Seit jeher liegt all diesen Bauausstellungen ein didaktischer Charakter zugrunde. Je nach Schwerpunkt und Epoche suggeriert die Inszenierung das Neue im Wohnen und im Idealfall prägen sich die gebauten Prototypen als Ikonen eines Jahrhunderts ein.

Zwischen Modernisierung und Ökonomie

Bauausstellungen sind nicht nur von architektonischer Erfindung geprägt, sondern von Ökonomie, gesellschaftlichem Leitbild und Politik. Bauausstellungen vermitteln, wie man wohnen soll. Dies wurde in jenen Bauausstellungen virulent, die zwischen und nach den Kriegen stattfanden. Modernisierungsfantasien im Wohnen entstehen selten in Zeiten der Langeweile und eher in Ausnahmezuständen, wie im Zuge kolonialer Eroberungen, vor oder nach Kriegen, im Zeichen eines Wirtschaftswunders oder durch eine Rezession. Was sonst, wenn nicht Wohnbau, sollte neue Ideale einer sozialistischen, kommunistischen oder demokratischen Gesellschaft verwirklichen? Wie könnte man nachhaltig mit Gewohnheiten brechen, wenn das Wohnen das alte blieb?

Stuttgarter Experiment

Auf der Stuttgarter Weissenhofsiedlung (1927) zeigte der Architekt Le Corbusier ein Haus in zwei Versionen, eines eingerichtet für den Tag und eines für die Nacht, um dessen Flexibilität zu demonstrieren. Wenig später, 1931 wurde für die Bauausstellung in Berlin zwar kein neues Gelände bebaut, dafür zeigten Architekten und Architektinnen in einer Halle von Peter Behrens großartige Eins-zu-eins-Prototypen neuer Wohnungen für eine neue Gesellschaft. Die – meiner Meinung nach – radikalste Wohnung entwickelte Lilly Reich, ein Apartment in einem Boardinghaus – ein Haus mit Serviceleistungen wie ein Restaurant –, eine küchenlose, schmale Wohnung für berufstätige Frauen und Paare, elegant eingerichtet mit von Reich selbst entworfenem, minimalem Stahlrohrmobiliar. Eine Wohnung gegen unbezahlte Hausarbeit und für mehr Gleichberechtigung. Voilà!

Häuser für die Vollfamilie

Ab 1933 machte der Nationalsozialismus weiter, die Mustersiedlungen folgten nun freilich anderen Zielen. Gefragt waren Häuser für die Vollfamilie mit Wohnküchen, in denen Hausfrauen kochen und Familien sich dreimal täglich versammeln sollten. Wohnen wurde zum politischen Kontrollinstrument. Interbau, die erste internationale Bauausstellung in Berlin nach dem Krieg, zeigte 1957 wiederum das Gegenteil. Im innerstädtischen Hansaviertel wurden von Grün umgebene Türme, Scheiben und Atriumhäuser locker verteilt. Das Who's who der Architekturszene baute und stellte die Maximen für das Nachkriegswohnen auf. Alvar Aalto aus Finnland plädierte für die Demokratisierung des Wohnzimmers – weg mit der "guten Stube", die nur der Repräsentation diente –, Oskar Niemeyer zeigte mit schrägen Stützen brasilianische Eleganz, und der Niederländer Jacob Bakema bewies, dass man auch auf mehreren Ebenen (Splitlevel) sehr gut wohnen kann.

Brasilianische Eleganz bei der IBA Berlin (Oskar Niemeyer).
Foto: Roland Köb
V- Stützen, ein offenes Erdgeschoss und ein frei gestellter Turm (IBA Berlin, Niemeyer).
Foto: Roland Köb
Jakob Bakema, IBA Berlin, Wohnen auf mehreren Ebenen kann gut sein!
Foto: Roland Köb
Geschwungene, bunte Fassaden neben (zu) breiten Straßen, die IBA Berlin.
Foto: Milomir Milenkovic

Algenzucht, Selbstbau und gähnende Leere

Eine der letzten populären deutschen Bauausstellungen wurde 2013 in Hamburg realisiert, unter anderem am Stadtentwicklungsgebiet Wilhemsburg im Süden der Stadt, mit wenig Anknüpfungspunkten außer kleinen Bestandsansiedelungen, Kanälen und einer Stadtautobahn. Die publizierten Bilder – meist aus der Vogelperspektive, selten zu sehen, außer man fliegt – zeigen nach dem Masterplan von Jo Coenen & Co auf circa 30 Hektar lustig geschwungene, schlangenförmige Gebilde, bunte dicke Punkthäuser, großzügige Plätze und viel, viel Grün.

Bewegt man sich heute durch Wilhelmsburg, zeigt sich ein anderes Bild. Selten ist mir ein neuer Stadtteil so leer erschienen, es fehlt jegliche urbane Anmutung und die Plätze entpuppen sich bei typischem Hamburger Wetter (feucht) als betoniertes Nichts. Dagegen wirkt selbst die Seestadt Aspern urban. Manche Häuser sind durchaus experimentell, aber auch gescheitert, etwa das Haus der Grazer Gruppe Splitterwerk: froschgrün und mit vor die Fassade gestellten Plexiglaselementen, in denen ständig Wasser für Algen blubbert, die darin gezüchtet werden. Daneben mutet das Selbstbauexperiment von Bel Sozietät (Berlin) angenehm zurückhaltend, rau und selbstverständlich an, zwischen den übergestalteten Punkthäusern.

Die IBA Hamburg: interessante Experimente, dazwischen eröffnet sich jedoch viel betonierte Leere.
Foto: Roland Köb
Fassaden zur Algenproduktion, der Mut zum Experiment sei gewürdigt.
Foto: Roland Köb
Schwimmende Häuser, Kanäle und Grün, die IBA Hamburg kann auch überzeugen.
Foto: Roland Köb

Wo ist die Wiener IBA? In Aspern? In Favoriten? Ganz Wien? 

Man kann es auch übertreiben mit dem Experiment, dennoch soll der Wille dazu hier gewürdigt werden. Denn etwas sollte doch übrig bleiben vom ursprünglichen IBA-Gedanken. Auch in Wien, denn ja, auch Wien hat eine IBA, wussten Sie es? Sie wird 2022 eröffnet werden und soll Wien (wieder) in den Mittelpunkt europäischen sozialen Wohnungsbaus stellen. Soweit so gut.

Aber wo wird sie sein, diese IBA? Wird irgendjemand zwischen guten Wohnbauten und mittelmäßigen Wohnungsbauten zwischen Aspern und Favoriten unterscheiden können? Mit sehr viel Energie und lobenswerten Inhalten wird seit einiger Zeit inhaltlich an der IBA gearbeitet. Talks werden geführt (immer gut) und Vorträge organisiert, man schreibt an Papieren und ja, man baut. Was dieser IBA fehlt ist ein zentraler Ort. Ein Areal á la Hansaviertel wird in Wien nicht zu bestaunen sein. Das neue Experiment im Wohnen aber vermutlich auch nicht. Im wirtschaftlichen Aufschwung wird Bauen teurer und Wohnbau gekürzt. Vollwärmeschutzfassaden werden nicht hinterfragt und die Dreizimmerwohnung ist immer noch aktuell. Da hilft die beste IBA-Theorie nichts. 

Es lebe das Experiment!

Die Wiener IBA leidet schon jetzt an ihrer Zerrissenheit, angesichts der Wilhelmsburger Leere könnte dies aber auch ein Vorteil sein. Man kreiert nicht den neuen, schwierigen Stadtteil abseits, sondern baut dort, wo schon etwas ist, mehr (Favoriten) oder weniger (Aspern). Algen auf Fassaden züchten klingt gut, macht bei einem Wohnbau aber wenig Sinn. Dennoch: Werden Fassaden- und Materialexperimente in Wien stattfinden? Welche radikal neuen Wohnkonzepte werden wir sehen? Welche neuen Formen von Privatheit? Was ist das Wohnzimmer des 21. Jahrhunderts? Was will uns Wien mit dieser IBA sagen? (Sabine Pollak, 27.6.2018)

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