Pandoravirus quercus, gefunden in Marseille, ist eines der neu entdeckten Pandoraviren.

Foto: IGS- CNRS/AMU

Marseille – Im Jahr 2008 entdeckten Parasitologen in Koblenz in der Kontaktlinse einer Frau mit Hornhautentzündung Amöben, die von unbekannten Partikeln infiziert waren. Die vorerst Endocytobionten bezeichneten Teilchen – für Viren schienen sie viel zu groß – stellten die Forscher vor ein Rätsel. Mittlerweile weiß man, dass es sich tatsächlich um Viren handelte, sogenannte Pandoraviren, mit einem Genom, das an Größe und Komplexität alle übrigen Viren und einige Bakterien in den Schatten stellt.

An der Grenze zum Leben

Diese mysteriösen, amorphen Wesen in der Grauzone zwischen Viren und echten Zellen wurden inzwischen an den unterschiedlichsten Orten gefunden: Auf eine Art stieß man in einem Kühlturm im englischen Bradford, eine weitere entdeckte man in den Sedimenten einer Flussmündung vor der chilenischen Küste, und auch im Schlamm eines Tümpels nahe der australischen Stadt Melbourne wurden die Wissenschafter fündig.

Die viralen Riesen erreichen einen Durchmesser von einem Mikrometer und ein Genom mit 2,5 Millionen Basenpaaren. Woher sie kommen und warum ihre Erbinformation so umfangreich ist, stellt die Wissenschafter nach wie vor vor ein Rätsel. Nun konnte ein Team um Matthieu Legendre von der Universität Aix-Marseille der Pandoravirenfamilie drei weitere Mitglieder hinzufügen.

Sechst bekannte Arten

Bei der im Fachjournal "Nature Communications" präsentierten Gegenüberstellung der mittlerweile sechs bekannten Spezies erlebten die Forscher eine Überraschung: Obwohl sie einander äußerlich gleichen und ähnliche Funktionen besitzen, teilte diese Viren untereinander nur etwa die Hälfte ihres Genoms. Normalerweise sind die Mitglieder einer Familie genetisch wesentlich näher miteinander verwandt.

Ebenfalls rätselhaft ist die Tatsache, dass alle untersuchten Pandoraviren eine überproportional große Zahl von sogenannten "Orphan"-Genen besitzen. Damit bezeichnet man proteinkodierende Gene, die keine Entsprechung in verwandten Arten besitzen. Die Forscher halten es für sehr unwahrscheinlich, dass diese Viren ihre "Waisengene" von einem gemeinsamen Vorfahren oder durch horizontalen Gentransfer von ihren Wirten erhalten haben. Weitere bioinformatische Analysen ergaben Ähnlichkeiten zwischen den Orphan-Genen und nichtkodierenden Genen im Pandoravirus-Genom.

Kreative Genfabriken

All diese Indizien weisen laut Legendre und seinen Kollegen auf eine mögliche Erklärung hin: Die Viren bringt die Genabschnitte spontan und zufällig selbst hervor. In diesen Szenario "erscheinen" die neuen Gene an unterschiedlichen Orten zwischen existierenden Genen der DNA-Stränge. Sollte dies zutreffen, wäre das Pandoravirus gleichsam eine kreative Genfabrik, so die Wissenschafter. Die evolutionären Auswirkungen dieser Fähigkeit bleiben vorerst unklar. (tberg, 19.6.2018)