Diskriminierung beginnt oft schon im jungen Alter: "Nach meinem allerersten Tag im Kindergarten hab ich gefragt: 'Mama, was ist eigentlich ein Tschusch?' Die Kinder hatten sich den ganzen Tag über meinen komischen Namen lustig gemacht und mich Tschusch genannt. Eine meiner ersten Erinnerungen." Die Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungswesen sammelt Beispiele wie dieses in ihrem Jahresbericht.

Foto: Christian Fischer

Wien – Ein ganz normaler Arbeitstag in einem öffentlichen Kindergarten in Wien. Die jüngeren Kinder werden gewickelt, aber nicht alle: Eine Pädagogin weigert sich, die Windeln eines muslimischen Kindes zu wechseln, weil der Junge beschnitten ist. Sie sagt: "Ich finde es ekelhaft. Sollen sie doch gleich alles wegschneiden."

Dokumentiert wurde dieser Fall von der Initiative für ein diskriminierungsfreies Bildungswesen (IDB) in ihrem Bericht über das Jahr 2017. 172 andere Fälle wurden dem gemeinnützigen Verein, der sich aus Spenden finanziert, gemeldet – sehr viel mehr als im letzten Jahr, in dem der junge Verein 47 Fälle von Diskriminierung dokumentierte. Zu verdanken ist das auch anderen Dokumentationsstellen – beispielsweise Zara –, die sich bei Beispielen für Diskriminierung im Kindergarten, der Schule oder an der Uni an die IDB wandten.

Nicht nur Schüler betroffen

Islamophobie war laut IDB 2017 mit 50 Prozent der häufigste Grund für Diskriminierung, aber auch andere ethnische Zugehörigkeit war sehr häufig der Auslöser (39 Prozent). Die IDB führt im Jahresbericht aber auch Fälle von Homophobie, Diskriminierung von Behinderten und Sexismus an.

Ein Fall, der in letztere Kategorie fällt, illustriert auch, dass nicht nur Kinder, sondern auch Lehrer und Lehrerinnen Opfer von Diskriminierung werden können. Folgender Fall ist dokumentiert: Als eine junge Lehrerin an eine Schule kommt, wo eine Lehrkraft für Chemie und Physik gesucht wird, kommentiert das ein älterer Lehrer vor Ort mit den Worten "Ein junges Mädel? Schade, dass die eigentlichen Disziplinen der Welt in die Hände von Frauen gefallen sind. Die Kinder werden bestimmt viel lernen, zum Beispiel welcher Nagellack länger hält und welche Konsistenz für Lippenstift wichtig ist".

Eingegangen wird im Jahresbericht außerdem auf die zahlreichen Erfahrungen, die Userinnen und User auf Twitter oder Facebook unter #reichenhetze teilten. Im Jänner dieses Jahres posteten dazu Hunderte Rassismus- oder Diskriminierungserfahrungen.

Viele Beispiele aus sozialen Netzwerken

Ein Beispiel: "Volksschule, 3. Klasse, ich durfte nicht das Schneewittchen im Schultheater spielen, weil die Lehrerin meinte, das passe von der Hautfarbe nicht so."

Ein weiteres: "Mein kleiner Cousin hat eine Lernschwäche. Seine Lehrerin zu ihm: 'Warum bist du so dumm, Asiaten sind doch in der Regel schlau.'"

Und noch eines: "Lehrerin zu einem schwarzen Mitschüler: 'So ein schöner deutscher Name. Und dann so ein Gesicht!'"

"Privat kann ich Ansichten haben, wie ich will. Aber im Klassenzimmer hat all das nichts verloren", sagt Marlies Parchment aus dem Vorstand des IDB. Ausgrenzung und Diskriminierung in der Schule könnten bei Kindern zu einer Schulangst führen, viele würden das Vertrauen in Bildungseinrichtungen verlieren, manche sogar von Schulen abgehen, ergänzt Sonia Zaafrani, die Obfrau des Vereins.

Reaktionen bleiben häufig aus

Im Jahresbericht beschäftigt sich der Verein deswegen auch mit den Reaktionen von Lehrerinnen und Lehrern beziehungsweise dem Schulpersonal. Wie unzureichend diese oft ausfielen, illustriere besonders ein Beispiel: Ein Wiener Geschichtelehrer fragte in die Gymnasiumsklasse, was der Unterschied zwischen Juden und Türken sei. "Die Juden haben es schon hinter sich", antwortete er nach einer kurzen Pause. Die Direktorin der Schule habe ihr Entsetzen über diesen "Witz" ausgedrückt, mehr sei allerdings nicht passiert. "Das geht so nicht. Es muss mindestens ein Gespräch geben und je nach Schwere des Falles weitere Konsequenzen", sagt Zaafrani.

Diskriminierung zu dokumentieren ist dem Verein nicht genug. Um von den Problemen zu Lösungen zu kommen, schlägt die IDB deswegen einen Zehnpunkteplan vor. Relevant sei zunächst, an ausführliche Daten zu kommen, empfohlen wird die Erstellung einer wissenschaftlichen Studie zum Thema Diskriminierung im Bildungswesen. Außerdem solle eine unabhängige Melde- beziehungsweise Beschwerdestelle geschaffen werden, wo schulintern Fälle gemeldet werden können. Aktuell würden sich das viele Schüler nicht trauen, weil sie um ihren Schulerfolg fürchten. Es brauche außerdem ein diverseres Lehrpersonal, das auch Workshops zu interkultureller Kompetenz absolvieren sollte. Auch Ausbildungen zum Thema Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache wünscht sich der Verein verpflichtend für Lehrpersonal.

Freude über Zivilcourage

Zaafrani und ihre Kollegen konnten aber auch über erfreuliche Entwicklungen berichten: "Es freut uns sehr, dass wir Fälle von Zivilcourage im Klassenzimmer dokumentieren konnten. Positive Interventionen sind eine sehr wichtige, mitunter prägende Sache."

Gemeint ist damit zum Beispiel jene Lehrerin, die eine Informationsstunde zum Thema Schächtung hielt. Zuvor hatte eine Assistenzlehrerin zu einem Schüler, der mit Fleisch gefüllte Teigtaschen für alle Mitschüler mitbrachte, gemeint: "Ist das das Fleisch vom armen Tier, das ihr bei eurem Opferfest geschlachtet habt? Keine Ahnung, was? Übrigens, Kinder, diese Tiere müssen heftig leiden." Den Schülern verging natürlich der Hunger, der angesprochene Mitschüler war peinlich berührt. Die Lehrerin berichtete dem Verein, dass sie mit der Assistenzlehrerin gesprochen habe und sich viele Kinder nach der Infostunde bei ihrem Mitschüler entschuldigt haben. (lhag, 19.6.2018)