Wien/Linz – Im Expresstempo macht sich die türkis-blaue Koalition Mittwochfrüh im Zug nach Linz auf, um dort einen höchst ungewöhnlichen Ministerrat abzuhalten – mit einem Journalistentross aus Wien im Schlepptau. Im Landhaus treffen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Co mit Bayerns Regierung zusammen, um eine gemeinsame Konferenz abzuhalten.

Das Brisante daran: Seit Dienstag ist die deutsche Polizei vom Innenministerium unter Horst Seehofer (CSU) angewiesen, Menschen an der Grenze zurückzuweisen, gegen die ein Einreise- oder Aufenthaltsverbot besteht – bisher war das nicht möglich, wenn sie einen Asylantrag stellten.

Die wöchentliche Regierungssitzung fand am Mittwoch in Linz statt. Gemeinsam mit bayerischen Ministern sollte Harmonie zwischen den Nachbarn demonstriert werden.
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Als Nächstes will Seehofer auch Personen zurückweisen lassen, die bereits in einem anderen EU-Land als Flüchtlinge registriert wurden – doch Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnt solche nationalen Alleingänge in der Europäischen Union weiterhin kategorisch ab. Bayerns CSU stellte ihr bis Monatsende ein Ultimatum, mit anderen europäischen Ländern über Lösungen zu verhandeln.

Enge Spezln statt neutrale Nachbarn?

Im seit Tagen schwelenden Machtkampf zwischen den CDU- und CSU-Spitzen schlägt sich Kurz' Koalition offenbar jetzt schon auf die Seite von Seehofer, Söder und Co. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wird jedenfalls auch im Linzer Landhaus erwartet – und Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) ließ bereits im Vorfeld wissen, dass man bei allfälligen Zurückweisungen von Asylwerbern nach Österreich "mit dem deutschen Innenministerium bestens akkordiert" sei.

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Zuuug fährt ab: Kanzler Kurz und seine Regierungsriege Mittwochmorgen auf der Fahrt nach Linz – zuvor protestierte am Bahnsteig die rote Jugend gegen den geplanten Zwölfstundentag.
Foto: Reuters/Foeger

Auf dem Programm in Linz stehen gleich mehrere gemeinsame Fototermine, ehe die österreichisch-bayerischen Staatsspitzen zu Mittag Seite an Seite ein Statement abgeben – nachdem Kurz unlängst schon eine "Achse der Willigen" zwischen Berlin, Wien und Rom ausgemacht hat, was das jahrelange Ringen in der EU um eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen sowie einen besseren Schutz von Europas Außengrenzen betrifft.

Der frostige Empfang trotz Hitze für Kurz und Co am Wiener Hauptbahnhof.
Foto: Weißensteiner

Kickl und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) wollen demnächst auch mit Italiens Innenminister Matteo Salvini (Lega) in Rom zusammentreffen. Deutschlands Kanzlerin Merkel wiederum bekam im Asylstreit zuletzt Rückendeckung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: Sein Land sei bereit, in Frankreich registrierte Flüchtlinge aus Deutschland zurückzunehmen – damit unterstützt er derartige Abkommen in Europa.

Bei der Ankunft am Bahnhof in Linz hält Kurz Mittwochvormittag jedenfalls gleich fest: "Es werden noch immer viel zu viele Menschen nach Mitteleuropa weitergewunken." Auch vor diesem Bahnhof wird – hier mit lauten Trompeten – gegen den von der Koalition geplanten Zwölfstundentag demonstriert. Mit dabei: jede Menge Polizei mit gefährlichen Hunden.

Auch in Linz wurde die Regierung mit lautem Protest wegen des Zwölfstundentags empfangen. Nicht zu hören: die Hupen der Demonstranten. Sehr wohl zu sehen: viel Polizei, auch mit Hunden.
Foto: Weißensteiner

Gegen neun Uhr marschiert die Regierung im Linzer Landhaus ein. Dort sagt Kurz, umringt von seiner Ministerschar: Unter Nachbarn, also mit den Bayern, gebe es auch schwierige Themen zu besprechen – etwa den Transit durch Tirol. Und noch einmal hält der Kanzler, diesmal noch deutlicher, fest: "Das Weiterwinken nach Mitteleuropa muss beendet werden!" Was Merkel betrifft, versichert er: "Wir werden uns in die innerdeutsche Debatte nicht einmischen. Das werden wir nicht tun."

Söder ante portas

Wenig später trifft schon Bayerns Ministerpräsident Söder ein. "Wir haben die Notwendigkeit, über die Migrationsfrage zu sprechen", leitet Kurz vor den vielen Medienvertretern ein, die hier meterweit – hinter einer tiefen Schlucht mit freigelegten Ausgrabungen – auf Abstand gehalten werden. "Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Sebastian!", nickt Söder. "Es gibt eine gemeinsame Haltung im Geiste", sagt er – und Bayern setze große Hoffnungen auf Österreichs anstehende EU-Ratspräsidentschaft. Söder, der demnächst Wahlen zu schlagen hat, will nämlich "eine Wende" in der Aslypolitik schaffen – beim Sozialen, bei der Kriminalität, beim Schutz der Außengrenzen. "Und unsere Position", sagt Söder in Richtung Kurz, "wird immer mehrheitsfähiger."

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"Unsere Position", sagte Bayerns Ministerpräsident Söder in Richtung Kanzler Kurz, "wird immer mehrheitsfähiger" – gemeint war eine Asylwende in der Union.
Foto: Reuters/Foeger

Auf Journalistenfragen zu Merkels Politik hält der oberste Bayer unter anderem fest: "Wir wollen auch in Deutschland ein klares Signal setzen, dass wir eine Wende in der Asylpolitik wollen." Ob Bayern bald Menschen nach Österreich zurückweise? Söder beruhigt: "Wir werden heute auch darüber reden, wie wir die Zusammenarbeit der Polizei verstärken können." Kurz erklärt: "Wenn es eine Gefährdung der Ordnung gibt, darf die Politik nicht zuschauen." Und wieder verweist der Kanzler auf das einst praktizierte Weiterwinken von Asylwerbern. Diesmal sagt er: "Wenn das Weiterwinken so weitergeht, dann würde es irgendwann einmal Grenzkontrollen geben – und das wollen wir nicht!" Und ohne Namen zu nennen, sagt Kurz: "Diejenigen, die für die Politik des Weiterwinkens eingetreten sind, haben auch schon gespürt, dass es so nicht weitergehen kann."

Ob damit Merkel gemeint sei? Fragen wie diese sind nicht mehr zulässig – Söder und Kurz wollen schleunigst zur Regierungssitzung ins Landhaus. Im Abgang sagt der Kanzler aber noch: Wenn Deutschland Personen zurückweise, "werden Kontrollen im selben Ausmaß von Österreich gesetzt werden". Der Innenminister, gemeint ist Kickl, bereite das ohnehin schon vor.

Und wie von Kurz und Söder bestellt, platzt während ihrer gemeinsamen Sitzung über die Agenturen jetzt die Nachricht, dass es am Sonntag in Sachen Asyl zu einem EU-Sondertreffen kommt – mit Merkel, Kurz und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Sieben Staaten sollen daran teilnehmen. (Nina Weißensteiner, 20.6.2018)