"Sie sind einfach nur ein antisemitisches Schwein." – "Und Sie ein zionistischer Übermensch." Die erste Begegnung zwischen Georg Graubner (Peter Simonischek) und dem Slowaken Ali Ungár (Jirí Menzel) verläuft nicht gerade vielversprechend. Ungár, ein ansonsten höflicher Mann mit Brille und Staubmantel, ist nach Wien gereist, um Graubners Vater einen Besuch abzustatten – mit einer Pistole.

Die Spurensuche durch die Slowakei führt sie in die hintersten Winkel: Jirí Menzel (li.) und Peter Simonischek (Mitte) in "Dolmetscher".
Foto: Barbora Jancárová / Titanic, InFilm, coop99

Denn als Übersetzer ist ihm dessen Buch in die Hände gefallen. Unter dem euphemistischen Titel Erinnerungen schildert der alte Graubner darin seine Zeit als ehemaliger SS-Offizier in Osteuropa. Hunderte Menschen hat der Kriegsverbrecher erschießen lassen, und der Jude Ungár will für seine von Graubner getöteten Eltern Rache nehmen. Schade nur, dass der alte Nazi schon tot ist. Mit dem kleinen Hakenkreuz, das er auf dessen Postkasten im schönen Bürgerhaus ritzt, kann er immerhin klarstellen, dass er zwischen Vater und Sohn keinen Unterschied zu machen gedenkt.

Dolmetscher, inszeniert vom slowakischen Regisseur Martin Sulík, bereitet das Themenfeld bereits in den ersten Minuten auf: Es geht um den Umgang der Nachkriegsgeneration mit den Naziverbrechen der Väter, um die Aufarbeitung von Familiengeschichte und um das Bauen von neuen Brücken über alte Wunden.

Emotionaler Kraftakt

Das braucht Zeit, viele Dialoge und bedeutsame Schlüsselsätze. "Ich weigere mich, die Schuld für etwas zu übernehmen, was ich nicht getan habe", so Graubner später zu Ungár, mit dem er natürlich doch zu einer Reise durch die Slowakei aufbricht, um Archive zu durchforsten und die Orte der Verbrechen zu besuchen. Denn Graubner will mithilfe des sprachkundigen Ungárs wissen, wer sein Vater war, dieser wiederum, wo seine Eltern begraben sind.

Während der rote Mercedes von Graubner also durch triste Vorstädte und dunkle Wälder rollt, steuert der Film selbst auf einen emotionalen Kraftakt der beiden ungleichen Gefährten zu – ausgiebig unterstützt von einem musikalischen Leitmotiv, mit dem die Streicher die Bedeutung der Unternehmung unterstreichen.

Trailer zu "Dolmetscher".
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Sie wollen keine Freunde sein, aber selbstverständlich werden sie unterwegs zu solchen. Sulík, der auch als Co-Autor verantwortlich zeichnet, lässt sich auf keine Überraschungen ein, sondern verlässt sich lieber auf das Abarbeiten der Agenda. Soll heißen: So vorgeformt wie die Charaktere, so vorgezeichnet ist ihr Weg.

Während zuletzt der kanadische Autorenfilmer Atom Egoyan in Remember die Themen Erinnerungsarbeit, Rache und Selbstfindung – mit Christopher Plummer auf der Suche nach einem NS-Mörder – in einen Thriller verpackte, macht Sulík genau das Gegenteil: Dolmetscher erzählt von einer Spurensuche, bei der es kein Geheimnis zu lüften gibt.

Ohne Risiko

Hier zählt nur der innere Weg, und dieser führt weniger von Station zu Station als von Gespräch zu Gespräch. Eine Denunziation nach dem Einmarsch der Sowjets hier, eine aus Gram verstorbene Schwester dort, während das Hotelfernsehen Bilder vom aktuellen Krieg in der Ukraine liefert. Was in diesem Film nicht ausbuchstabiert wird, das braucht man sich auch nicht vorzustellen.

Nicht zuletzt deshalb ist Dolmetscher unbedingt darauf angewiesen, mit Menzel und Simonischek zwei gleich starke Gegenspieler zu etablieren. Aber auch hier scheut Sulík das Risiko und geht in der Zeichnung der konträren Charaktere lieber auf Nummer sicher. Während der eine als Lebemann an der Hotelbar und unter den Händen slowakischer Masseurinnen dem körperlichen Genuss nicht abgeneigt ist ("Betrügen muss man mit Freude"), lebt der andere in Gedanken nach wie vor bei seiner bereits vor vielen Jahren verstorbenen Frau.

Der angedeutete Konflikt zwischen den Söhnen von Opfern und Täter darf – und kann – unter diesen Vorzeichen nie eskalieren, sieht man von Ungárs angedrohter Kündigung als Dolmetscher ab, der von den Eskapaden seines Auftraggebers genug hat. Doch die Last der Verantwortung liegt zu schwer auf diesem Film, um sich von ihr freispielen zu können. (Michael Pekler, 21.6.2018)