Mein Knie schmerzt. Jeder Schritt ist mühsam. Selbst die Nächte sind nicht erholsam. Ich stehe ständig unter Strom. Und ich reagiere gereizt auf meine Umwelt. Ich mag nicht nett sein, nicht zuhören, nicht verständnisvoll sein: Meine Empathie ist weg.

Stress mit der Familie

Angenommen, ich wäre schulpflichtig. Wie würde es mir ergehen? Meine Kumpel reagieren aggressiv auf meine miese Laune, einige könnte ich blindlings verdreschen, anderen werde ich zeigen, "wo Gott wohnt". Und die Lehrerinnen und Lehrer? Manche nerven einfach, einige machen mich mit ihren Vorwürfen, uneinlösbaren Forderungen oder Anordnungen wütend. Und mit meiner Familie gibt's auch genug Stress.

Aufgewacht: Ich habe einen zur Empathie fähigen Ehemann. Wenn er mein schmerzverzerrtes Gesicht sieht, sagt er einfühlsam: "Dein Knie plagt dich schon wieder fürchterlich!" Und schon halte ich die Unbilden des Tages besser aus.

Und in der Schule? Zeitdruck, Vorgaben, Kommunikation zwischen Tür und Angel. Desinteresse oder Erwartungsdruck vonseiten der Eltern. Unterhaltungsverwöhnte Schülerinnen und Schüler, viele von ihnen aus Familien, die durch Traumata (Krieg, physische/psychische Gewalt, Flucht, Verlust der Heimat, Unfälle, Missbrauch), Mangelerfahrungen, Armut, oder Beziehungsdesaster destabilisiert sind.

Empathie wird in den ersten Lebensjahren durch stabiles positives Eingebundensein gelernt. Also kein Auftrag für die Schule?

In Wien (und einzelnen anderen Standorten in Österreich) gab es von 1983 bis 2003 hunderte Lehrerteams, die das Projekt "Soziales Lernen" erprobten. Wissenschaftliche Studien bestätigten die Erfolge: weniger Außenseiter in den Klassen, weniger Gewalt, weniger Schulangst, mehr gelebte Demokratie. Den Maturanten merkte man die Fähigkeit zum vernetzten Denken an.

Trotz des größeren Zeitaufwands der Lehrpersonen waren sie weniger ausgebrannt (emotional erschöpft) als die Kolleginnen und Kollegen ohne Projekt.

Wesentliche Erfolgsbausteine: Die Lehrer lernten und lebten in Teams, was sie den Schülern als Modelle vermittelten. Es wurde in allen Unterrichtsgegenständen Zeit für die Gestaltung der Beziehungen in der Klasse investiert; manchmal gab es zusätzlich eine Klassenstunde dafür. Allen Schulpartnern war klar, dass Selbst- und Sozialkompetenz den Boden für die fachlichen Kompetenzen bereiten. Das Lernen voneinander und miteinander stand im Zentrum der pädagogischen Überlegungen.

Emotionale Kompetenz

Denn immer wieder wurde und wird bestätigt: Die Qualität der emotionalen und sozialen Kompetenz (und nicht die kognitive!) sagt einen erfolgreichen Lebensweg voraus. Für den langfristigen beruflichen Erfolg sind die Noten weniger wichtig als die soziale Kompetenz der Schüler, die zusätzlich auch noch lesen und schreiben können und Interesse an der Schule behalten (untersucht 2018 an 350.000 US-Schülern bis zu 50 Jahre nach Schulabschluss; das gilt unabhängig vom IQ oder sozioökonomischen Status der Eltern).

Beschwören wir nicht alle, wie wichtig der Erfolg der nächsten Generation für die gesamte Gesellschaft ist? Wer sorgt dafür? Und wie?

Der Bildungsforscher John Hattie brachte in seiner Metastudie das Erfolgsgeheimnis für den Lernerfolg der Schüler auf den Punkt: Lehrer, die die Schule mit den Augen der Schüler wahrnehmen (können). Das heißt: empathische Lehrerinnen und Lehrer!

Lehrer, die selbst etwa förderliche Gesprächsführung und Teamleitung gelernt haben, deren professionelle Kompetenz gewürdigt wird, die autonom Zeit, Kraft und Kreativität fürs gemeinsame Lernen einsetzen dürfen statt behindert zu werden, können für den Erfolg der kommenden Generationen sorgen.

Ist es der richtige Weg, die Ausbildung der Lehrer zu verwissenschaftlichen, das sozial-/pädagogische Unterstützungspersonal zu reduzieren, bremsende Rahmenbedingungen zu schaffen (fehlende Räume, unpassende Ausstattung, hinderliche Klassengrößen, vermehrt administrative Aufgaben ...)? Wann gibt es Zeit für das soziale Lernen der Lehrenden, wann Supervision in der Dienstzeit als wichtige Burnout-Prophylaxe, wann Zeit für Teambesprechungen der Lehrer derselben Klasse, wie werden Maßnahmen zur Einbindung der Eltern unterstützt?

Einst schlimmste Schule

Heute wird Deutschlands einst schlimmste Schule, die Rütli-Schule in Berlin, die ein Hort der Gewalt und des Integrationsversagens war, als Vorzeigemodell gefeiert. Stichwortartig einige Beiträge zum Erfolg: Ganztagsbetreuung, intensiver Austausch mit Bezirk und Sozialeinrichtungen, muttersprachliche Sozialarbeiter, kleine Gruppen jahrgangsübergreifend, zweimal wöchentlich Elternfrühstück, Hausbesuche durch die Lehrer sowie eine Klassenratsstunde wöchentlich in jeder Klasse und ein bis zwei Stunden soziales Lernen täglich. (Ruth Mitschka, 20.6.2018)