Premier Rama (rechts neben EU-Kommissionspräsident Juncker) ist in seiner zweiten Amtszeit.

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Tirana – In Berlin ist man "beeindruckt", und unter EU-Diplomaten wird die Überprüfungskommission, die seit März alle 800 Staatsanwälte und Richter in Albanien unter die Lupe nimmt und die Korrupten herausfischt, bereits als Modell für andere EU-Anwärter betrachtet. Denn bisher gab es noch in keinem südosteuropäischen Staat eine derart umfassende Justizreform wie in Albanien.

Bisher sind 19 Richter und Staatsanwälte, die ihr Vermögen nicht erklären konnten, freiwillig zurückgetreten. Sieben wurden entlassen und sieben bestätigt. Manche Albaner schöpfen erstmals Hoffnung, dass die Korruption endlich ernsthaft bekämpft wird. Die Opposition versucht aber, die Justizreform zu unterlaufen. So könnte es sein, dass die notwendigen Kurse für neue Richter und Staatsanwälte im Herbst nicht beginnen können, weil die Gesetze nicht verabschiedet sind.

Auch die EU-Kommission lobt die Reformfortschritte. Dennoch gibt es Widerstand in EU-Staaten gegen die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Albanien. Dieser kommt vor allem aus Frankreich, aber auch aus Dänemark und den Niederlanden. Während letztere beiden "umfallen" dürften, wenn alle anderen mitziehen, ist es noch immer möglich, dass Paris beim EU-Gipfel am 28. und 29. Juni gegen das erste Screening der EU-Kapiteln für Albanien stimmen wird.

EU-Beitritte vom Tisch

Präsident Emmanuel Macron geht es darum, dass vor den EU-Wahlen 2019 das Thema Erweiterung überhaupt nicht auf den Tisch kommt. Macron fürchtet, dass mit dem Thema die EU-Skeptiker unter den Konservativen auf den Plan gerufen werden. Er will eine breite Mehrheit im EU-Parlament für seine Reformen sichern. Frankreich wurde von anderen EU-Staaten aber bereits vermittelt, dass es die politischen Folgen für die Ablehnung Albaniens alleine zu tragen hätte. Denn dies würde auch die Konditionalitätspolitik (EU-Annäherung nach Reformen) und die Glaubwürdigkeit der EU untergraben.

Der sozialistische Regierungschef Edi Rama hat zudem wenige Parteifreunde in der EU, weil die meisten EU-Staaten von Konservativen regiert werden. Die Opposition im eigenen Land, die konservative Demokratische Partei (DP), will – wie das auf dem Balkan so üblich ist – der Regierung keinen Erfolg gönnen und lobbyiert in der EU gegen den Beginn von Verhandlungen. Auch in der CDU_und CSU_gibt es Leute, die gegen Beitrittsgespräche sind. Allerdings hat Merkel das letzte Wort, und die Kanzlerin ist dafür.

Sorgen bereitet Sicherheitsexperten in der EU aber nach wie vor die organisierte Kriminalität – insbesondere der Drogenhandel. Dabei geht es nicht so sehr um die Cannabis-Produktion in Albanien – diese wurde im Vorjahr massiv eingeschränkt –, sondern um den Kokainschmuggel nach Europa. (Adelheid Wölf, 21.6.2018)