Auch Gotteshäuser sind vor den Angriffen der Viehhirten nicht gefeit. Dabei sind es auch die muslimischen Fulani, die ausgegrenzt werden.

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Shetima Mohammed kann die Vorwürfe nicht mehr hören. Alleine im Bundesstaat Benue, der an das Nachbarland Kamerun grenzt und wo er Generalsekretär der Viehhalter-Organisation Miyetti Allah ist, sollen in nicht einmal fünf Monaten knapp 600 Menschen ermordet worden sein.

Das hat Gouverneur Samuel Ortom bekanntgegeben. Die Lesart ist dabei stets gleich. Viehhirten, die der ethnischen Gruppe der Fulani angehören und meist Muslime sind, ermorden sesshafte Bauern, die sich überwiegend zum Christentum bekennen. Daraus ist mittlerweile die Forderung entstanden, die Fulani zu einer internationalen Terrorgruppe mit dem Namen "Fulani Terrorists" erklären zu lassen. An manchen Tagen sind nigerianische Zeitungen voll davon.

Stigma der Fulani

Shetima Mohammed sitzt in North Bank, einem dichtbevölkerten Viertel der Provinzhauptstadt Makurdi, gegenüber einer Moschee und zeigt auf ein paar Männer, die gerade beim Nachmittagsgebet sind. "Das sollen alles Terroristen sein", sagt er und lacht halb zynisch, halb heiser auf. "Es gibt so viele Fulani, die nach Jahrzehnten ihre Häuser verloren haben, die auf Spenden angewiesen sind. Aber über sie spricht niemand." Sie würden genau wie die Bauern auch ermordet werden. Laut Schätzungen soll es insgesamt 20 Millionen Angehörige der Ethnie in West- und Zentralafrika geben.

Tatsächlich ist keine ethnische Gruppe in Nigeria so stigmatisiert worden wie die Fulani. Dabei sind Auseinandersetzungen zwischen nomadischen Viehhirten und Bauern nicht neu. Sie traten auf, wann immer Kühe bestellte Felder zertrampelten oder einstige Weiderouten zugebaut wurden. Noch vor Jahren wurden die Streitigkeiten mithilfe von Kompensationszahlungen beigelegt. Heute wird gemordet, so erscheint es zumindest. Betroffen ist vor allem der Middle Belt, der eine Pufferzone zwischen dem islamischen Norden und christlichen Süden ist. Letzterer fühlt sich an den Rändern um seine Existenz bedroht.

Gerüchte über Kolonialisierungen

"Es gibt zahlreiche Menschen, die von einem versteckten Plan ausgehen. Ziel sei es, bestimmte Regionen zu kolonialisieren", beschreibt der 59-jährige Ignatius Kaigama, katholischer Erzbischof von Jos, im Bundesstaat Plateau die Stimmung. Auch dort kommt es regelmäßig zu Morden. Anhänger dieser Theorie würden davon ausgehen, dass der Jihad von 1804 fortgesetzt werden soll. Kolonialisiert werden sollen Gebiete, die Usman dan Fodio nicht unter seine Herrschaft brachte, als er den heiligen Krieg anführte und das Kalifat von Sokoto gründete. Drahtzieher könnte womöglich sogar Präsident Muhammadu Buhari sein, der selbst Fulani ist.

In gemäßigten Kreisen werden profanere Gründe angeführt. "Es kommt zum Klimawandel", sagt der Erzbischof. In Nordnigeria ist es kaum noch möglich, riesige Herden zu ernähren. Rund um den Tschadsee halten sich zudem Anhänger der Terrormiliz Boko Haram versteckt, weshalb Hirten in Richtung Süden ziehen. Letztendlich ist es auch die schiere Bevölkerungsexplosion: Seit der Unabhängigkeit 1960 hat sich die Einwohnerzahl fast vervierfacht und liegt bei rund 190 Millionen Menschen.

Dass der Konflikt so blutig geworden ist, hat jedoch auch mit den geschätzten 350 Millionen Kleinwaffen zu tun, die im Land zirkulieren. Viele kommen aus Libyen oder werden im Südosten illegal gegen Rohöl getauscht. Bauern bewaffnen sich, Hirten tun es ebenso, um ihre Herden vor Diebstahl zu schützen. Das bestätigt Chris Ogbonna, der in Jos für das Zentrum für Dialog, Versöhnung und Frieden (Drep) arbeitet und regelmäßig Fulani und Farmer zusammenbringt. Verantwortlich für den Diebstahl sind mancherorts Boko-Haram-Anhänger. "Sie finanzieren sich dadurch", so Ogbonna. Seiner Meinung nach ist es ebenso wahrscheinlich, dass sich einige sogar selbst unter die Viehhirten gemischt haben. Aus dem Norden sind nicht nur Millionen von Zivilisten geflohen, sondern auch Anhänger der Miliz, als die nigerianische Armee besetzte Städte befreite.

Vom Konflikt profitieren

Deutlich wird in der ganzen Region eines: Bisher gibt es keine ernsthaften Versuche, den Konflikt zu beenden. In Benue sollte im November 2017 ein Weideverbot helfen, was zahlreiche Fulani aufbrachte. Sie wollen sich nicht auf Rinderfarmen zurückdrängen lassen und kritisierten zugleich: Die eingezäunten Flächen werden seit Jahrzehnten versprochen, aber nie gebaut.

Auf die Frage, wer tatsächlich vom Konflikt profitiert, antwortet Chris Ogbonna mit Bedacht. Es gebe Parallelen zum Nordosten und Boko Haram. Als die Gruppe 2013 und 2014 immer stärker wurde, wurde der Verteidigungsetat sprunghaft erhöht. Heute gilt es als erwiesen, dass davon nicht die Bevölkerung profitierte, sondern einzelne Militärs. Gerade muss sich der einstige Sicherheitsberater Sambo Dasuki wegen fiktiver Waffenkäufe in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar (1,7 Milliarden Euro) verantworten.

Im kommenden Jahr sind zudem Wahlen. Gerade Politiker, die noch keine Ämter innehaben, versprechen potenziellen Wählern gerne mehr Sicherheit. Und je kritischer die Lage ist, desto größer ist das Bedürfnis nach Sicherheit und Frieden. (Katrin Gänsler aus Jos, 22.6.2018)