Parkplätze in Zentrumsnähe sind für viele Städte und Gemeinden ein wichtiges Thema – in Gänserndorf entschied sich die Stadtregierung, dafür sogar eine ehemalige Synagoge abzureißen.

Foto: matthias cremer

Gänserndorf – Genau 80 Jahre nachdem die gesamte jüdische Bevölkerung aus Gänserndorf vom nationalsozialistischen Regime vertrieben wurde, reißt die Stadt die ehemalige Synagoge ab. An der Stelle des historischen Gebäudes sollen Parkplätze entstehen, bestätigt Bürgermeister René Lobner (ÖVP) einen Bericht der Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN). Die Stadtregierung handelt mit dem Schleifen des Gebäudes gegen den Wunsch der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), die grüne Vizebürgermeisterin protestiert dagegen. Der Stadtchef hält das Thema für aufgebauscht. Juristisch ist der Abbruch allerdings wasserdicht.

Denn Gänserndorf hat der IKG das Gebäude vor Jahrzehnten ohne Auflagen abgekauft, es steht auch nicht unter Denkmalschutz. Bürgermeister Lobner verweist im Gespräch mit dem STANDARD auch auf angebliches Einvernehmen mit der IKG, einen "aufrechten Stadtratsbeschluss" aus dem Jahr 2014, ein fertiges Verkehrskonzept und den "desolaten" Zustand des Hauses.

IKG wünscht sich Nutzung

Die große Einigkeit mit der Stadt sieht man bei der IKG allerdings nicht: Juristisch sei die Sache natürlich eindeutig, sagt Generalsekretär Raimund Fastenbauer zum STANDARD. Das Haus gehört der Stadt, und sie kann damit machen, was sie möchte. Aber ob sie "irgendeine historische Verantwortung sieht in Hinblick darauf, dass das eine ehemalige Synagoge ist, müssen sie mit sich selbst ausmachen".

Die Kultusgemeinde wünscht sich ausdrücklich, dass das Haus nicht abgerissen wird. Es gehe um Sensibilität beim Thema, "und ich weiß nicht, ob die gegeben ist, wenn man dort einen Parkplatz hinbaut". Gegen eine Verwendung des Gebäudes als Kindergarten oder Schule hätte man bei der IKG nichts einzuwenden.

Die Aktion führe dazu, dass die Stadt nach der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung und der Shoah mit dem Abriss des Gebäudes nun "das Ganze aus der Geschichte herausstreicht. Damit haben wir ein Problem."

Abriss im Gedenkjahr

Derzeit ist übergangsweise das Jugendzentrum der Stadt in dem Gebäude untergebracht. Genau darin vermutet der Bürgermeister den wahren Hintergrund der Debatte: Weil Margot Linke, die zuständige grüne Vizebürgermeisterin, bis jetzt kein neues Quartier für die Jugend gefunden hat, wehre sie sich nun gegen den Abriss.

Das bestreitet Linke, die Grünen seien schon gegen das Schleifen gewesen, als das Zentrum noch gar nicht in den Räumen untergebracht war. "Es war eine Synagoge. Das Gebäude ausgerechnet einem Parkplatz zu opfern, finden wir nicht passend", sagt die Kommunalpolitikerin. Nachsatz: "Gerade im Gedenkjahr."

Lobner wiederum nennt es "letztklassig", die Umsetzung des Verkehrskonzepts samt Parkplatz und kleinem Park mit dem Gedenkjahr, 80 Jahre nach Anschluss und Novemberpogrom, zu vermengen. "Man versucht da etwas zum Thema zu machen, das gar kein Thema ist." Der Stadtchef verwehrt sich dagegen, "auch nur ansatzweise" mit Antisemitismus in Verbindung gebracht zu werden.

Keine "Anne Frank aus Gänserndorf"

Auch die Recherchen einer Historikerin sind für Lobner alles andere als ein Grund dafür, umzudenken: Ingrid Oberndorfer – sie gehört zu den lautesten Gegnerinnen des Abrisses – entdeckte laut NÖN bei einem Lokalaugenschein im Gebäude einen eingeritzten Namen und das Datum 10. 5. 1941. Sie untersucht, ob es sich beim Mann möglicherweise um einen Juden handeln könnte, der sich während der Zeit des Nationalsozialismus in der ehemaligen Synagoge versteckt hat. Der Bürgermeister entgegnet: Es habe sich beim Urheber der Inschrift um einen Dachdecker gehandelt, der sich bei der Arbeit verewigt hat – und nicht um eine Art "Anne Frank aus Gänserndorf – das ist alles Schwachsinn". Außerdem hätte Oberndorfer das Haus der Stadt wohl gar nicht betreten dürfen, merkt Lobner an.

Die daran im Jahr 2001 angebrachte Gedenktafel wird es weiterhin geben, versichert Lobner aber. Nur eben nicht mehr an der ehemaligen Synagoge. "Dafür werden wir ein würdiges anderes Plätzchen finden", sagt der Bürgermeister. (Sebastian Fellner, 21.6.2018)