Fällt Merkel, fällt die Achse Paris-Berlin, weshalb Macron versucht, die Kanzlerin zu halten.

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"Allem Anfang wohnt ein Zauber inne", zitierte Angela Merkel im Mai 2017 Hermann Hesse. Das war, als ihr Emmanuel Macron seine Aufwartung als frischgekürter Präsident Frankreichs machte. Es war unverkennbar: Der Pariser Charme wirkte bis ins Kanzleramt. Ein Jahr später zieht das französische Vordenkerblatt Le Monde ein nüchternes Fazit: "Der Charme ist weg." Merkel und Macron brauchten mehr als ein Jahr, um zu einem gemeinsamen Vorschlag für den nächsten EU-Gipfel zu finden. Von der "Neugründung Europas", die Macron verkündet hatte, ist in der am Dienstag auf Schloss Meseberg erzielten Einigung nicht mehr viel zu spüren.

Die Kanzlerin hatte Macrons Geduld überstrapaziert. Zuerst musste er die Bundestagswahlen abwarten, dann die Regierungsbildung in Berlin. Als es endlich so weit war, hielt ihn Merkel so lange hin, bis ihm der Kragen platzte: Bei der ehrwürdigen Verleihung des Karlspreises im Mai verlangte er, dass Deutschland seinen "Fetischismus für Haushalts- und Handelsüberschüsse" aufgebe.

Merkel steckte den Schlag ein und gab ihn Tage später zurück, indem sie Macrons hochfliegende Europapläne auf pekuniäre Interessen reduzierte: "Kühnheit", meinte sie in einer ARD-Sendung, "kann nicht daran gemessen werden, wie viel Geld man in den Ring wirft." Das mag auch als beruhigendes Signal an die bayerische CSU gedacht gewesen sein. Die in Meseberg präsentierten Reformvorstellungen nämlich sehen erstmals auch ein Budget für die Eurozone vor. Dies sei "nicht mit uns besprochen", klagte CSU-Chef Horst Seehofer: "Es ist kein guter Stil, wenn man solch wichtige Vereinbarungen trifft und die CSU nicht beteiligt."

In der CSU sorgt man sich vor allem, dass Merkel sich durch Zusagen an Macron ihre EU-Lösung in der Asylpolitik erkaufen will – nach dem Motto: Die Kanzlerin gibt Geld für das Eurozonenbudget, dafür unterstützt der Franzose Merkel bei ihrem Bemühen, nationale Alleingänge im Asylstreit zu verhindern. Das habe "einen faden Beigeschmack", sagt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der klar gegen eine "Schuldengemeinschaft" ist: "Wir brauchen Stabilität in Europa nicht durch immer mehr Geldzahlungen, sondern durch Reformen der jeweiligen Länder", so Söder. CSU-Vorstandsmitglied Markus Ferber warnt gar vor einem "schmutzigen Deal".

Kaum Konzessionen

In der Sache machten aber weder Macron noch Merkel viele Konzessionen. Macron gelobte zwar, Flüchtlinge und Migranten zurückzunehmen, die über Frankreich nach Deutschland eingereist waren, zahlreich sind diese Fälle aber nicht. Frankreichs Europaministerin Nathalie Loiseau zeigt in der Asylpolitik insgesamt entsprechende Nüchternheit: "Wir haben eine politische Migrationskrise, während die Migration in Europa zurückgeht", sagte sie am Donnerstag bei einer Konferenz über die Zukunft der EU in Wien.

Merkel wiederum legte sich auf keinen Umfang des Eurozonenbudgets fest. Statt "mehrerer hundert Milliarden Euro", von denen Macron 2017 geträumt hatte, muss Wirtschaftsminister Bruno Le Maire um 20 Milliarden betteln. Selbst dagegen laufen in Deutschland CSU, Teile der CDU und die FDP Sturm. Sie vermuten dahinter den Ansatz einer Transferunion. Zum Verteidiger Merkels schwingt sich dagegen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) auf. Er verweist darauf, dass die Grundlage für die Beschlüsse von Meseberg der Koalitionsvertrag sei: "Daran kann sich niemand stoßen."

Macron bleibt trotz allem auf Merkels Seite. Die Kanzlerin ist seine sicherste Partnerin im europäischen Konzert – sie will und darf er nicht verlieren. Zumal er ihre Schwäche weidlich ausnützt: Immerhin hatte sie das ominöse Wort "Budget" der Eurozone beim Zweiertreffen in Meseberg erstmals von Macron übernommen. Zudem ist der Jungpräsident aus Paris so angewiesen auf die Kanzlerin wie sie derzeit auf ihn: Ohne Merkel hätte er mit seinen Eurofinanzplänen keine Chance gegen die Haushaltswächter in Deutschland. Schon deshalb hat er Interesse, dass Merkel im Amt bleibt.(Stefan Brändle aus Paris, Mitarbeit: Manuela Honsig-Erlenburg, 21.6.2018)