Wo ist Mascha? Buntes Treiben am Strand von Sotschi.

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Mascha verteilt die Sonnencreme auf ihrem Körper, um unbesorgt die südrussische Sonne genießen zu können. Malerisch erhebt sich der Kaukasus im Hintergrund, die höchsten Kuppen sind auch im Hochsommer noch schneebedeckt. Das Meer auf der anderen Seite ist tiefblau und fast unbewegt. Sein Rauschen ist die ewige Konstante und könnte beruhigend wirken – wenn, ja, wenn es nicht vom Sound der Strandbars und dem Geschrei der Touristen übertönt würde.

Der Strand, eigentlich eine dunkelgraue Kieselsteinmasse, ist im Sommer buntgescheckt. Dicht an dicht liegen die Handtücher. Neben Mascha liegen Anton und Boris, Gleb und Galina, Lilja und Igor. Sie stammen aus Moskau, dem Ural oder Sibirien. Dicke weiße Bäuche, schlanke sonnengebräunte Körper und sonnenverbrannte rote Nasen. In Sotschi ist im Sommer alles zu sehen.

Jede Menge Schweden-Fans

In diesen Tagen laufen auf der Strandpromenade auch jede Menge Männer in gelb-blauen Schweden-T-Shirts und – deutlich weniger – in den schwarz-weißen Hemden der deutschen Nationalmannschaft herum, die sich auf das WM-Spiel am Samstag (20 Uhr, live ORF 1) einstimmen. "Daneben sind aber auch viele Spanier hier", erzählt die Eisverkäuferin Jelena. Spanien hat in der Nähe seine Trainingsbasis aufgeschlagen und viele Fans sich daher hier einquartiert. In der Fanmeile nahe dem Seehafen treffen sich Russen und Ausländer am Abend. Bei den Gesprächen geht es dann nicht nur um die Spielergebnisse, sondern auch um die besten Bars und die schönsten Ausflüge.

Am schönsten ist die Stadt dabei eigentlich in der Nebensaison. Wenn es in Moskau oder St. Petersburg kalt und ungemütlich ist, wenn graue Schnee- und Regenwolken tage- und wochenlang so dicht über den Köpfen hängen, dass sich ihre schwere Last auf das Gemüt legt, dann lockt Sotschi immer noch mit strahlender Sonne, blauem Himmel und sattem Grün.

Einziges russisches Ferienparadies

Doch seine Bedeutung verdankt Sotschi dem Sommer: Schon zu Sowjetzeiten zog es Millionen Familien an die warme Schwarzmeerküste. In den 90er-Jahren, nach dem Zerfall der UdSSR und dem Wegfall solcher Urlaubshochburgen wie Odessa, Krim, Gagra und Suchumi, verblieb Sotschi praktisch als einziges russisches Ferienparadies. Und auch wenn Russland die Krim inzwischen genauso wieder erobert hat wie russische Billigtouristen die abchasische Küste, ist Sotschi weiter der Fixpunkt am Schwarzen Meer.

Das gilt umso mehr für die Politik: Als Kurort zu Zarenzeiten gegründet, wurde 1934 in Zentralsotschi die Staatsdatscha "Botscharow Rutschej" für den Volkskommissar Kliment Woroschilow gebaut. Hatte Stalin seine Datscha in Sotschi (insgesamt besaß er wohl rund ein Dutzend an der Schwarzmeerküste) weiter südlich im Stadtteil Mazesta, erholten sich seine Nachfolger seit den 1960er-Jahren auch immer wieder gern in "Botscharow Rutschej". Auch ausländische Partei- und Staatschefs wie Josef Tito waren hier zu Gast.

Putins Residenz

Doch zur echten Sommerresidenz wurde "Botscharow Rutschej" erst unter Putin. Der gebürtige Petersburger hat in seinen Amtszeiten ironischerweise nicht die alte Zarenhauptstadt, sondern Sotschi mehr und mehr zu seinem Regierungssitz erwählt. Schon die von ihm forcierte Vergabe der Olympischen Winterspiele 2014 an einen subtropischen Kurort erschien nicht wenigen als Kapriole des Kreml-Chefs. Seine Vorliebe für Sotschi hat er jedoch auch anschließend nicht verloren. Im vergangenen Jahr war er rund 40-mal in seiner 40 Hektar großen Sotschi-Residenz. Gerade in der warmen Jahreshälfte verlegte Putin seine Aktivitäten verstärkt ans Schwarze Meer.

Auch in diesem Jahr hat Putin in "Botscharow Rutschej" unter anderen schon Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel, Indiens Premier Narendra Modi und gleich mehrfach Syriens Präsidenten Bashar al-Assad empfangen. Kurz vor der WM versammelte er dann auch das Organisationskomitee justament in Sotschi, um letzte Anweisungen zu geben.

Nicht nur Putin, auch sein Premier Dmitri Medwedew hat es sich bei Sotschi bequem gemacht. Der Bau des Chalets "Psechako" in den Bergen bei Krasnaja Poljana soll seinerzeit umgerechnet 75 Millionen Euro gekostet haben und wurde zu einem der Kritikpunkte der Opposition an Putins Protegé. In Sotschi selbst stört sich kaum jemand an der Anwesenheit der höchsten Staatsfunktionäre. Immerhin erhöhen sie den Status Sotschis gewaltig. Einzig die durch Straßensperrungen verstärkten Staus, wenn der Kremlchef zu Veranstaltungen in der Stadt ist, rufen Verdruss hervor. Doch selbst im dicksten Stau bleiben die Bewohner gelassen – im Süden Russlands hat es niemand eilig. Hauptstadt hin oder her. (André Ballin, 23.6.2018)