Wien – Es ist eine Geschichte, die niemand erleben möchte: Das eigene Kind wird drogensüchtig, es leidet sichtlich, entfernt sich mehr und mehr – und stirbt. Danjela T. blieb dieses Schicksal nicht erspart. Ihre 15-jährige Tochter wird tot neben einem Müllcontainer gefunden, die Ursache: eine Überdosis.

Boulevardzeitungen sind voll mit der Geschichte und thematisieren auch die Rolle der Mutter. Danjela T. bekommt Hassnachrichten, wird von Fremden beschimpft. Sie sucht Hilfe, will rechtlich gegen die Berichte vorgehen. Dazu kommt es aber nie: Wenige Wochen nach ihrer Tochter stirbt auch Danjela T. – sie begeht Suizid.

Tee statt Taschentücher

Beim Elternkreis Wien kennt jeder die Geschichte. Schließlich wurde die Gruppe gegründet, damit es nicht so weit kommt. Nicht nur die Süchtigen, sondern auch deren Angehörige brauchen Unterstützung, sollen über ihre Sorgen, Ängste und Befürchtungen offen sprechen können – mit Menschen, denen es ähnlich geht.

Eltern drogensüchtiger Kinder suchen die Schuld lange bei sich selbst, sagt Suchttherapeutin Sandra (Name geändert). Sie engegiert sich in einer Selbsthilfegruppe für Angehörige.
Foto: Imago

Alle zwei Wochen kommt die kleine Gruppe in Wien-Floridsdorf zusammen. Wer hier Taschentücherboxen erwartet, liegt falsch. Stattdessen ist der Tisch gedeckt mit Kaffee- und Teekannen, es gibt Kuchen, Kekse und Brote mit Aufstrich. Auch bei der Begrüßung ist noch nichts vom Ernst zu spüren, der wenige Minuten später in der Luft liegen wird. Man kennt einander – alle, die heute gekommen sind, besuchen die Gruppe schon seit Monaten.

Da ist das eine Ehepaar mit dem 30-jährigen Sohn, der seit 15 Jahren verschiedenste Drogen nimmt und dealt, mehrmals im Gefängnis war und auch schon öfter einen Entzug versucht hat. "Wir wissen, dass wir ihm nicht mehr helfen können. Aber uns."

Da ist das andere Ehepaar, deren Sohn harte Jahre hinter sich hat, nach einem Entzug aber momentan auf einem guten Weg ist und wieder im Familienbetrieb mitarbeitet. "Auf einmal sind wir in dieser Drogengeschichte. Wir, die nie im Leben mit Drogen zu tun gehabt haben."

Da ist eine Frau, die sich große Sorgen um ihre Schwiegertochter macht, die nicht vom Cannabis wegkommt und vor kurzem als bipolar diagnostiziert wurde. "Wenn sie drei Tage lang nicht raucht, ist sie stolz. Sie sagt dann immer, ich verstehe das nicht."

Da ist noch eine Frau, deren Sohn im Krankenhaus verstorben ist, nachdem er mit Substitol behandelt wurde. Seit Jahren kämpft sie deswegen vor Gericht gegen die Ärzte. "Viele Eltern wissen nicht, wohin sie sich wenden können. Es ist aber wichtig, Gleichgesinnte zu treffen."

Da ist Josef Rohacek, den aber alle nur "Pepi" nennen. Er hat die Gruppe ins Leben gerufen und hält sie am Leben. Er kümmert sich um alles Organisatorische, stellt Fördermittel auf, sorgt dafür, dass noch mehr Menschen vom Elternkreis erfahren.

Was die tote Tochter lehrte

Und dann ist da die Gruppenleiterin, Sandra*. Ihre Tochter war drogenabhängig, starb. Noch heute erinnert sie sich an Tage, an denen sie auf dem Karlsplatz unterwegs war und ihre Tochter suchte, wenn sie von ihr wiedermal lange nichts gehört hatte. "Ich dachte bis dahin, dass Drogensüchtige aus asozialen Familien kommen. So, wie das sehr viele Leute denken. Und ich habe diese Familien verurteilt." In gewisser Weise sei sie ihrer Tochter deswegen dankbar. "Heute weiß ich, dass Sucht eine Krankheit ist, kein Verbrechen. Und dass sie jede Familie betreffen kann."

Nicht nur ihre persönliche Geschichte brachte Sandra dazu, die Ausbildung zur Suchttherapeutin zu machen. Auch die schlechten Erfahrungen in großen Einrichtungen sorgten bei ihr für Wut – und für den Willen, es anders zu machen: "Ich werde nie vergessen, wie ich das erste Mal Hilfe gesucht habe. Der Therapeut hat mir gesagt, ich muss meine Tochter abweisen, sie alleine lassen. Und erst wenn es ihr so richtig dreckig gehe, könne es eine kleine Chance auf Besserung geben."

Der "Baum der Hoffnung" steht vor dem Eingang der Uno-City in Wien-Donaustadt. Es ist ein Denkmal für alle Opfer von Drogenmissbrauch und steht auch für die Ermutigung aller Drogenkranken.
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Beim Elternkreis engagiert sie sich freiwillig. Dort gibt es nicht viele Spielregeln, aber die sind wichtig: Jede Person wird einzeln angesprochen, gefragt, wie es ihm oder ihr geht. Dabei soll niemand unterbrochen werden mit Ratschlägen oder der eigenen Meinung in bestimmten Fragen. "Ich versuche auf die jeweiligen Sorgen und Probleme einzugehen und dabei Gefühle aufzuzeigen." Dabei gibt es auch von Sandra kein "Richtig oder Falsch". Sie wolle jeden selbst auf die eigene Spur bringen.

Bei manchen Themen fällt es den Anwesenden an diesem Abend nicht leicht, die eigene Meinung für sich zu behalten. Die Mutter des im Krankenhaus verstorbenen Sohns spricht sich für eine Legalisierung von Cannabis aus, einige aus der Gruppe sehen das ganz anders. Für ihre Kinder war Gras das Eintrittsticket in die Drogensucht, später nahmen sie härtere Drogen. Sandra schreitet ein: "Man kann Substanzen nicht verallgemeinern. Manche Menschen rauchen jahrelang am Abend einen Joint, das ist für sie wie ein Glas Rotwein. Anderen ist es schnell nicht mehr genug."

Wie viele Menschen an Drogen sterben

Laut dem aktuellsten Drogenbericht für Österreich machen etwa 30 bis 40 Prozent der jungen Erwachsenen Erfahrungen mit Cannabis. Zwei bis vier Prozent haben Ecsatsy, Kokain oder Amphetamine konsumiert, bei Opioiden sind es maximal zwei Prozent. Etwa 30.000 Menschen konsumieren in Österreich Opiate im Problembereich, also regelmäßig. Die Zahl ist seit einigen Jahren rückläufig, das liegt auch daran, dass sich ein Großteil der Konsumenten in Behandlung befindet. Aber natürlich gibt es auch in Österreich Menschen, die für ihre Sucht mit dem Leben bezahlen. Menschen wie die Töchter von Sandra* und Danjela T. 2016 gab es 165 solcher Todesfälle.

"Es liegt nicht an uns Eltern, ob die Kinder von uns gehen. Das habe ich hier gelernt", sagt der Vater des seit 15 Jahren drogensüchtigen Sohnes. "Ich bin sonst sehr verschlossen, aber hier kann ich mich öffnen. Der Gruppe habe ich zu verdanken, dass ich noch nicht auf der Psychiatrie bin."

Gewisse Dinge auszusprechen fällt dem Mann aber auch nach Jahren in der Gruppe nicht leicht. Sein Sohn feiert demnächst den 30. Geburtstag. Ein Anlass, der ihm zu denken gibt. "Er hat nicht viel weitergebracht, wird immer wieder rückfällig und lebt von Mindestsicherung. Das schmerzt. Klar: Er lebt, und das ist natürlich gut. Aber ich kann mit ihm nicht so richtig", sagt er fast entschuldigend und vergräbt sein Gesicht in den Händen.

"Ich darf meinen Sohn verwünschen"

Das kennt auch der andere Vater in der Runde. "Ich liebe meinen Sohn. Aber manchmal, da mag ich ihn einfach nicht." Vor kurzem habe er einen wunderbaren Film gesehen, da gab es eine Szene zwischen einer Mutter und einer Tochter, in der die beiden einen ähnlichen Dialog führten. "Und da habe ich mir gedacht: Es ist okay, so zu denken. Ich darf das. Ich darf ihn manchmal verwünschen."

Was hier drinnen klar ist – dass Drogensucht eine Krankheit ist, die jeden treffen kann, und dass darüber gesprochen werden muss, auch als Angehöriger –, soll auch nach außen getragen werden. Vor mittlerweile sieben Jahren hat sich Pepi, der Gründer der Gruppe, deswegen für das Aufstellen eines Denkmals engagiert. Der "Baum der Hoffnung" steht seither vor dem Eingang der Uno-City im 22. Bezirk. Jahr für Jahr kämpft der Pensionist dafür, die für die Instandhaltung notwendigen Mittel zur Verfügung zu haben. "Für ein Umdenken in der Gesellschaft braucht es diese Symbole. Dass wir davon noch weit entfernt sind, zeigt aber die Tragödie um Danjela T."

Kleine Symbole, große Gefühle

Am internationalen Tag gegen Drogenmissbrauch und unerlaubten Suchtstoffverkehr will Rohacek ein weiteres Zeichen setzen. Um 19 Uhr wird er deswegen eine Kerze zum Gedenken an alle Opfer von Drogenmissbrauch und zur Ermutigung von Drogenkranken und Angehörigen beim "Baum der Hoffnung" anzünden.

Er und die Gruppenmitglieder wissen, dass es nur kleine Zeichen sind. Dass Süchtige in der Öffentlichkeit noch immer als Problem gesehen werden, das man einfach verdrängen möchte. "Der Praterstern ist das beste Beispiel dafür", sagt Rohacek. Aber sie machen weiter. "Hier haben wir eine Familie gefunden", beschreibt es eine Teilnehmerin. "Hier sind wir nicht allein." (lhag, 26.6.2018)