Der eine predigt vom christlichen Kreuz, die anderen von Gleichheit und Solidarität. Das Schnitzel haben alle gern: die Mundart-Musiker Andreas Gabalier (rechts) und Krautschädl (links).

APA, Mick Morley

Eines ist in den Kulturwissenschaften unbestritten: Die Kunst, die Mitglieder einer Gesellschaft hervorbringen, kann nie entkoppelt von den politischen Bedingungen, in denen sie entsteht, betrachtet werden. Kunst und ihr gesellschaftlicher Rahmen stehen in permanenter Wechselwirkung miteinander.

So gesehen lässt sich nicht letztgültig klären, ob die Musik Andreas Gabaliers nur Symptom oder doch Brandbeschleuniger jenes politischen Zeitgeists ist, der von Washington über Wien bis Moskau das Modell der liberalen Demokratie in Bedrängnis oder zumindest in Verruf bringt.

Dass der selbsternannte "Volks-Rock-'n'-Roller" schon früher mit als rebellisch verkauften Retro-Ansagen – etwa zur Bundeshymne, die er ohne Töchter singt – von sich reden gemacht hat, ist bekannt. Auf seinem jüngsten Album Vergiss mein nicht findet sich mit Kleine steile heile Welt ein Lied, in dem er all das noch einmal verdichtet mitteilt.

"Tradition leben, mit der Zeit gehen", heißt es darin, das "Holzscheitelknien", eine Uraltmethode zur Kinderbestrafung, wird verniedlicht, schließlich der Bekenntnissatz: "In einem christlichen Land hängt ein Kreuz an der Wand." Da ist es zum FPÖ-Slogan "Abendland in Christenhand" tatsächlich nicht mehr weit.

Die Provokation ging auf. Im Internet wurden die Textzeilen heftig diskutiert. Vor wenigen Tagen schließlich platzte den Mitgliedern der oberösterreichischen Mundart-Rockband Krautschädl der Kragen. Auf der Musikplattform Noisey veröffentlichten sie einen offenen Brief an Gabalier. Und der hatte es in sich.

Ein linker Heimatbegriff

"Wir wollen uns den Heimatbegriff nicht okkupieren lassen", fasst es Sänger Philipp "Mölgie" Sikora zusammen. Man habe lange zugesehen, aber es gebe einfach zu wenig kritische Rückmeldungen auf Andreas Gabalier. "Wir dachten uns, irgendwer muss jetzt anfangen, eine Gegenmeinung zu bringen." Es müsse doch möglich sein, auch von linker Seite den Heimatbegriff zu verwenden – und einen Diskurs darüber zu starten. "Eigentlich sind wir ja sogar sehr mittig unterwegs. Es hat sich einfach der Rest extrem verschoben. Deshalb sind wir innerhalb des jetzigen Spektrums links."

Heimat bedeute für Krautschädl nicht nur Schnitzel, Ambros, Hundertwasser oder Stephansdom, wofür man Österreich ebenfalls liebe. Heimat bedeute auch Brüderlichkeit, Gleichheit, Solidarität – "und da halten wir es ganz mit Erich Fromm, der einmal gesagt hat, die einzige Solidarität, die diese Bezeichnung verdient, ist Solidarität mit der ganzen Menschheit."

Im offenen Brief schreiben Krautschädl: "Ein stolzes Volk denkt global, nicht völkisch. Ein Volk ist dynamisch, organisch, lebendig. Ein Volk, das ist kein staubiges Kellerabteil, in dem man sich versteckt, in der Hoffnung, dass alle anderen und mit ihnen letztendlich die Gegenwart ganz von selber verschwinden (...). Heimat heißt dementsprechend auch, dass wir niemanden auf ein Scheidl knien lassen, weil er uns nicht in den Kram passt. Genauso wie wir es selbst ablehnen, uns auf ein Scheidl zu knien."

Auch die Grünen wollen Heimat besetzen

Was sagt uns diese Auseinandersetzung? Zunächst zeigt sie, dass das allgemeine (Un-)behagen darüber, dass viele die Uhr gesellschaftlich zurückdrehen wollen, nunmehr im Mainstream-Pop seinen Niederschlag findet. Und das ist das beste Indiz dafür, dass das Thema tatsächlich unter den Nägeln brennt.

Der Kampf um die Deutung des Heimatbegriffs findet seit Jahren auch bei den Grünen statt. Mitunter treibt das seltsame Blüten. In Salzburg plakatierte die Partei Spitzenkandidatin Astrid Rössler umringt von vier blonden Kindern und mit dem Slogan "Heimat beschützen". Selbst Bundeschef Werner Kogler war das rückblickend zuviel des Guten.

Es ist richtig, keine Verengung des an sich wertfreien Heimatbegriffs zuzulassen – er kommt von Heim und bedeutet ursprünglich "Ort, wo man sich niederlässt". "Linke" müssen sich aber bewusst sein, dass sie ihre Aufgabe ursprünglich nicht in der Neubesetzung vermeintlich "rechter" Begriffe sahen, sondern im Erarbeiten eines eigenen Vokabulars samt zugehöriger utopischer Erzählung.

Österreich ist kein christliches Land

Beide politischen Blöcke, rechter wie linker, suchen derzeit nach Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung. Die österreichische Pop-Linke, zu der Krautschädl sich nolens volens zählt, wird dem neokonservativen Modell aber nichts entgegenzusetzen haben, wenn sie sich ihrerseits auf eine Heimat-nur-anders-Methode zurückzieht und gemütlich die Beisl-Grätzl-Kultur besingt.

Wo bleibt die österreichische Mainstream-Band, die sich nicht scheut, offen linke Narrative zu vertreten, die u. a. wären: Verteilungsgerechtigkeit, Feminismus, Internationalismus? Vielleicht hat ja Hubert von Goisern mit seinem kapitalismuskritischen Nummer-eins-Hit Brenna tuats guad von 2011 vorgemacht, wie das ginge.

Wenn man angesichts der Auseinandersetzung zwischen Gabalier und Krautschädl letztlich nach der Definition einer österreichischen Leitkultur fragen will, so kann sie von Linken wie Liberalen nur so beantwortet werden: Österreich ist kein christliches Land. Es ist ein säkularer, liberal-demokratischer Rechtsstaat mit christlicher Geschichte. Demnach braucht es heute keine Leidkultur im Zeichen des Holzscheitelkniens, sondern eine Leitkultur in der Tradition der Aufklärung. (Stefan Weiss, 24.6.2018)