So "easy" ist das Fahrschulgeschäft nicht mehr. Als Werner Fichtinger ins Geschäft einstieg, war der Führerschein noch ein Statussymbol. Heute machen ihn immer weniger Österreicher.

Foto: Regine Hendrich

Heute eine klassische Fahrschule zu gründen ist keine gute Idee. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man mit Werner Fichtinger spricht. Immer weniger Österreicher machen den Führerschein. Fahrschulen überleben nur, wenn sie ihr Geschäftsmodell überdenken, ist Fichtinger überzeugt. Seine Fahrschulen sollen zu Zentren für Verkehrskompetenz werden.

STANDARD: Sie fahren hinter einer Straßenbahn nach. Welchen Mindestabstand müssen Sie halten, wenn Sie nicht überholen wollen?

Fichtinger: Zwanzig Meter.

STANDARD: Richtig. Sie würden vermutlich jede theoretische Führerscheinprüfung im Schlaf bestehen?

Fichtinger: Bestehen schon, aber nicht immer fehlerlos. Für den B-Führerschein gibt es 1.400 standardisierte Fragen mit je vier Antwortmöglichkeiten. Davon kann eine richtig sein, zwei, drei oder alle vier. Wenn Sie von vier richtigen Antworten nur drei ankreuzen, wird die ganze Frage als falsch gewertet. Da passiert jedem einmal ein Fehler.

STANDARD: Und die praktische Prüfung haben Sie auch auf Anhieb geschafft?

Fichtinger: Ich bin nie durchgefallen. Glück gehabt.

STANDARD: Nie?

Fichtinger: Ich habe alle Führerscheine: vom Moped über den normalen B-Führerschein bis zu Lkw und Traktor. Aber das gehört fast dazu, wenn man Fahrschulbetreiber ist.

STANDARD: Heute machen die Leute oft nur den B-Führerschein?

Fichtinger: Wenn überhaupt. Die Zahl der ausgestellten Lenkberechtigungen ist auch für normale Pkw-Führerscheine rückläufig. Immer weniger junge Menschen machen den Führerschein. Von aktuell rund 380 Fahrschulen in Österreich bieten viele überhaupt keinen Führerschein für Lkw oder Traktor mehr an.

STANDARD: Das liegt aber nicht daran, weil die Fahrprüfungen so schwer geworden sind?

Fichtinger: Nein, weil der Führerschein unter den jungen Menschen einen anderen Stellenwert hat als vor einigen Jahren. Natürlich war die Führerscheinprüfung auch weniger reglementiert, die praktische Prüfung kürzer und die theoretische Prüfung mündlich. Es dauert heute deutlich länger, bis man den Führerschein hat. Im Durchschnitt bleibt ein Kunde für ein Jahr bei einer Fahrschule. Aber das ist nicht der einzige Grund, weshalb Fahrschulen derzeit große Probleme haben, genügend Kunden zu bekommen. Früher war klar: Wer volljährig wird, macht den Führerschein, weil das Mobilität und Freiheit bedeutet.

STANDARD: Aber die junge Generation heute ist mobiler als die meisten Generationen vor ihr. Wieso sehnt sich die Jugend heute nicht mehr so stark nach dem Führerschein?

Fichtinger: Das lässt sich kaum auf eine ganz konkrete Ursache runterbrechen. Das Auto und der Führerschein sind heute jedenfalls kein Statussymbol mehr. Als ich den Führerschein gemacht habe, war das praktisch der Eintritt ins Erwachsenenleben. Ich habe alle Marken und alle Modelle gekannt. Heute sind es die Eltern, die wollen, dass ihr Kind den Führerschein macht, und weniger die jungen Leute selbst.

STANDARD: Sie haben kurz nach dem Eintritt ins Erwachsenenleben eine Fahrschule gekauft.

Fichtinger: Mit 24 habe ich die Fahrschule in Ybbs an der Donau gekauft. Mein Vater war dort angestellt.

STANDARD: Inzwischen gehören Ihnen neun Standorte im Franchise von Easy Drivers, bei dem Sie Mehrheitseigentümer sind. Wie kam es dazu?

Fichtinger: Wir haben uns damals zusammengesetzt und Marktforschung betrieben: Wie funktionieren die internen Abläufe in Fahrschulen? Wie läuft der Unterricht ab? Zuerst haben wir ein einheitliches Skript entwickelt, weil jede Fahrschule die Theoriekurse nach eigenem Gutdünken gestaltet hat. Dann haben wir versucht, Gruppenfahrstunden zu etablieren. Wir hätten so deutlich günstigere Fahrstunden anbieten können. Die Politik hat aber Einzelstunden vorgezogen.

STANDARD: Warum?

Fichtinger: Weil nicht alle Fahrschulen ein Übungsgelände haben, auf dem man Gruppenstunden abhalten könnte. Wir hätten dadurch einen Marktvorteil gehabt, der Mitbewerb wollte das verhindern. Das ist ja nachvollziehbar. Trotzdem halte ich den Unterricht für überreguliert. Dadurch haben wir einen häufig unterschätzten Verwaltungsaufwand. Die Prüfungen werden von einem staatlichen Prüfer abgenommen und sind standardisiert. Man schafft sie oder schafft sie nicht.

STANDARD: Die Pläne für ein Fahrschulfranchise hat das nicht gebremst?

Fichtinger: Die Vorteile der Zusammenarbeit zwischen einzelnen Fahrschulen waren so groß, dass wir 1995 mit 14 Standorten das Franchise Easy Drivers gestartet haben.

STANDARD: Wie können Sie als Netzwerk von Fahrschulen auf das schwierige Marktumfeld reagieren?

Fichtinger: Easy Drivers hat mit 53 Standorten in Österreich einen Marktanteil von 16 Prozent bei den jährlich erteilten Lenkberechtigungen. Damit sind wir das größte Fahrschulnetzwerk im Land und haben wahrscheinlich mehr Möglichkeiten, als einzelne Fahrschulen, die nicht zu einem Netzwerk gehören. Wir müssen neben der klassischen Lenkberechtigung auch andere Services liefern. Sonst überleben auch wir nicht.

STANDARD: Zum Beispiel?

Fichtinger: Zum Beispiel, indem wir die allgemeine Verkehrskompetenz fördern. Schließlich nehmen alle Personen in irgendeiner Weise am Verkehr teil. Auch sie müssen die Grundregeln des Verkehrs kennen, um keine zusätzliche Gefahrenquelle zu bilden. Als Fahrschule müssen wir das Thema Mobilität als Ganzes bedienen. Und nicht nur das Thema Führerschein.

STANDARD: Und wenn Sie die Preise senken? Beziehungsweise die öffentliche Hand dazu bringen, die Gebühren für den Prüfungsantritt zu senken? Dann könnten Sie billiger anbieten und vielleicht mehr Leute in die Fahrschule locken.

Fichtinger: Daran liegt es nicht. In den Städten gibt es längst Preiskämpfe zwischen den Anbietern. Unserem Geschäft liegt das Konzept der Mobilität zugrunde. Nehmen Sie Carsharing. Bei Sharing-Anbietern gibt es oft kleine, oft elektrische Autos mit automatischem Getriebe. Um ein solches Auto hin und wieder im städtischen Raum zu verwenden, müssen Sie heute den B-Führerschein machen. Der kostet, was er kostet, und dauert im Durchschnitt ein Jahr. Das ist nicht unbedingt verhältnismäßig. Da müsste sich der Gesetzgeber überlegen, welche Art der Mobilität gefördert werden soll, und angemessene Lösungen finden. Die Mobilität wird in zehn Jahren ganz anders aussehen als heute. Den Führerschein wird es dann noch geben, aber er sollte und müsste auch anders gestaltet werden.

STANDARD: Aber kurzfristig setzen Sie nicht darauf, dass der Gesetzgeber das Führerscheingesetz umkrempelt?

Fichtinger: Zuerst krempeln wir unser Geschäftsmodell um. In unserer Branche ist es schwer, Kundenbindung aufzubauen. Wer den Führerschein schafft, kommt im Normalfall nicht wieder – unsere Kunden sind Einmalkunden, keine Stammkunden. Deshalb sind wir auf gute Mundpropaganda angewiesen. Wir fokussieren uns zunehmend auf Verkehrskompetenz, Schulungen für E-Bikes sowie wichtige und richtige Angebote im Bereich der Weiterbildung – nicht nur bei Berufskraftfahrern. In den Mittelpunkt rücken zunehmend ganzheitliche Mobilitätsberatung und ein zeitgemäßer Service.

STANDARD: Haben Sie deshalb die Fahrschule in St. Pölten gekauft? Die gehört ja zu den ältesten Österreichs. Viele, die dort den Führerschein gemacht haben, können Sie ihren Kindern oder Enkeln weiterempfehlen.

Fichtinger: St. Pölten ist schon seit 1995 bei Easy Drivers dabei, ich habe sie übernommen, weil der Betreiber in Pension gegangen ist. Die Fahrschule wird im kommenden Jahr 80 Jahre alt. Die älteste ist aber in Dornbirn, die gibt es seit 1926 – gehört übrigens auch zu Easy Drivers.

STANDARD: Sie haben vorher E-Bikes angesprochen. Easy Drivers bietet auch Fahrradschulungen an. Wer, außer Kleinkindern, nimmt Fahrradunterricht?

Fichtinger: Die Gruppe der Radfahrer wird gerade im Stadtverkehr immer größer und wichtiger. Innerhalb dieser gewinnen Senioren und E-Bikes an Bedeutung. Als Mobilitätsexperten umfasst unser Angebot entsprechende Schulungen. Diese sind nicht zuletzt deshalb essenziell, weil die Geschwindigkeit und die Gefahren eines E-Bikes häufig unterschätzt werden. Das E-Bike ist eben kein normales Fahrrad.

STANDARD: Weiterhin kommen die zu Ihnen, die den Führerschein für die Arbeit brauchen?

Fichtinger: Klar. Wer ihn für die Arbeit braucht, wird ihn früher oder später machen müssen. Das gilt für den B-Führerschein, aber auch für den Lkw-Führerschein oder den Traktorführerschein. Aber es gibt auch Leute, die den Traktorführerschein einfach so machen. Vor kurzem hatten wir einen Werksfahrer von Porsche in Ybbs, der den Traktorführerschein machte. Er hat den Traktor nicht zum Driften gebracht, aber die Prüfung bravourös gemeistert. Und einmal hatten wir einen Bauern, der mit dem Traktor zur Fahrschule gekommen ist, um den Traktorführerschein zu machen. Er hat nicht bestanden – und ist mit dem Traktor wieder nach Hause gefahren. Aber das ist sehr lange her (Aloysius Widmann, 24.6.2018)