Managua/Washington – Nach der Eskalation der Gewalt in Nicaragua hat sich die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) für vorgezogene Wahlen in dem Land ausgesprochen. Diese sollten frühestens in neun und spätestens in 14 Monaten stattfinden, erklärte OAS-Generalsekretär Luis Almagro am Freitag (Ortszeit) in Washington. Oppositionelle beklagten unterdessen Misshandlungen in nicaraguanischen Gefängnissen.

In der ersten Sondersitzung zur Lage in Nicaragua, hieß es, zuvor müsse noch das Wahlregister erneuert werden. Die Präsidentenwahl in dem lateinamerikanischen Land ist eigentlich für das Jahr 2021 geplant. In der OAS sind mehr als 30 Staaten Nord-, Mittel- und Südamerikas versammelt.

Seit zwei Monaten Proteste und Gewalt

Nicaragua kommt seit mehr als zwei Monaten nicht zur Ruhe. Bei den Zusammenstößen zwischen Demonstranten, die gegen den autoritären Präsidenten Daniel Ortega auf die Straßen gehen, und dessen Unterstützern sind bisher mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen, wie die Interamerikanische Organisation für Menschenrechte (CIDH) in einem Bericht vor der OAS mitteilte. Zudem habe es bis Anfang Juni rund 1.300 Verletzte und etwa 500 Festnahmen gegeben.

Die Proteste hatten sich Mitte April an einer geplanten Sozialreform entzündet. Die Regierung zog diese zwar zurück, seither demonstrieren die Menschen jedoch für einen Rücktritt Ortegas und dessen Ehefrau, Vizepräsidentin Rosario Murillo.

Oppositionsanhänger in Nicaragua warfen den Behörden nach ihrer Freilassung aus der Haft gewaltsame Übergriffe vor. Insgesamt 26 Inhaftierte wurden auf Vermittlung der katholischen Kirche am Freitag (Ortszeit) aus Gefängnissen in Managua und Masaya freigelassen. Sie berichteten von Schlägen und Fußtritten. Nicaraguas Polizei sagte nach Angaben der Kirche ein Ende der Misshandlungen zu.

Mehr als 200 Todesopfer

Die Zahl der Todesopfer bei den Auseinandersetzungen stieg nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten auf 212. Bis zum vergangenen Dienstag seien zudem mehr als 1.300 Menschen verletzt worden, teilte sie in Washington mit. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission ist ein unabhängiges Gremium der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).

Der 16-jährige Bayron Hernández berichtete, er sei von vermummten Angehörigen einer regierungsnahen paramilitärischen Einheit festgenommen und geschlagen worden. "Sie haben mir mit einer Kalaschnikow den Kopf aufgeschlagen", sagte Hernandez, nachdem er aus der Haft in Masaya der katholischen Kirche übergeben worden war, zur Nachrichtenagentur AFP. Der 23-jährige Evert Padilla berichtete, er sei bei seiner Festnahme daheim in Managua auf den Boden gedrückt und getreten worden. "Sie haben meine Tür aufgebrochen und meine Sachen mitgenommen", sagte er. Padilla wurde nach seiner Freilassung der Kirche in Managua übergeben.

Ausführlicher Bericht zu den Protesten

Insgesamt 15 Freigelassene wurden am Freitag von der Polizei in die Kathedrale der Hauptstadt gebracht. In der Oppositionshochburg Masaya wurden elf Oppositionsanhänger auf freien Fuß gesetzt. Nicaraguas Polizeichef Ramón Avellán sagte nach einer Intervention der Kirche zu, die Misshandlungen durch die Polizei und regierungsnahe Milizen zu beenden. "Er hat uns zugesagt, alle Schikanierungen auszusetzen", sagte Kardinal Leopoldo Brenes, der in dem Konflikt zwischen Kirche und Regierung vermittelt. Es bleibe abzuwarten, "ob das wirklich stimmt", fügte der Kardinal einschränkend hinzu.

Die "Unterdrückung und Kriminalisierung" der Demonstranten und der Protestbewegung in Nicaragua habe "schwerwiegende Menschenrechtsverstöße" zur Folge gehabt, hieß es in einem fast hundertseitigen Bericht zu den Massenprotesten. Der Staat habe Gewalt eingesetzt, um die Menschen von einer Teilnahme an den Protesten abzuhalten und die Äußerung abweichender politischer Meinungen zu unterdrücken. Die Kommission forderte die Regierung auf, eine "rechtsstaatliche, demokratische und friedliche Lösung für diese Menschenrechtskrise zu erreichen".

Ortega schließt Rücktritt aus

Die Unruhen in Nicaragua hatten Mitte April begonnen, als Sicherheitskräfte Demonstrationen gegen Pensionskürzungen gewaltsam niederschlugen. Seither weiteten sich die Proteste auf das ganze Land aus. Sie richten sich inzwischen gegen den autoritären Regierungsstil von Staatschef Daniel Ortega und seiner Ehefrau, Vizepräsidentin Rosario Murillo. Ortega schließt einen Rücktritt aus. Der ehemalige Guerillakämpfer regierte Nicaragua von 1979 bis 1990 und erneut seit elf Jahren, sein derzeitiges Mandat endet im Jänner 2022. (APA, dpa, 23.6.2018)