Der Geruch der Tomaten im Garten der Großeltern – Kinder lernen Sprache mit allen Sinnen.

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Die Sommerferien stehen vor der Tür. Für manche Kinder bedeutet das, im Herkunftsland ihrer Eltern oder Großeltern Urlaub zu machen. Wachsen die Kinder zu Hause auch mit der Sprache dieses Landes auf, so ist dieser Urlaub eine große Bereicherung und ein Aufschwung für diese Sprachkompetenz. Auf den ersten Blick würde man sagen, ja natürlich, wegen der sprachlichen Immersion im Land! Doch es ergeben sich noch weit mehr motivierende Momente als die Situation, in einem fremdsprachigen Umfeld eine Sprache quasi beiläufig zu lernen.

Das Kind wird nicht nur in eine Sprache eintauchen, sondern sie tagtäglich in Zusammenhang mit gesellschaftlichen und kulturellen Inhalt bringen. Denn darin liegt eine der großen Herausforderungen der zweisprachigen Erziehung: Als Eltern geben wir eine Sprache weiter, die nicht in der Umgebung gesprochen wird, trotzdem versuchen wir, so gut es geht, das Kind darin zu sozialisieren. Im Herkunftsland pulsiert die Sprache, ist aufgefüllt mit Erfahrungen und Erlebnissen, die schmecken und riechen, die die Haut streicheln, wenn man ins Meer geht oder der frische Wind in den Bergen weht. Und nicht zu vergessen, auch als Erwachsener lernt man weiter, wenn man im Herkunftsland ist, denn Sprache entwickelt sich ständig weiter.

Das Kind lernt mit allen Sinnen Sprache

Als Kind verbrachte ich die Sommermonate in Bulgarien, auf dem Land bei meinen Großeltern. Das war Immersion pur. Ich kann bis heute die Tomaten riechen, die ich frisch im Garten selbst pflücken durfte, ich sehe den klaren, mit Sternen übersäten Nachthimmel, ich spüre die heiße Sommerluft auf der Haut.

Das Sprachliche wird ganz unbewusst mit den Erlebnissen und sinnlichen Erfahrungen des Kindes verknüpft. Diese sprachlichen Inhalte prägen sich samt ihrer Färbungen ein und schaffen einen Lernprozess, wie es keine Sprachschule oder Sprachförderung jemals könnte. Diese intensiven Erfahrungen verknüpfen sich mit der Sprache und bleiben erhalten. Eine Freundin erzählte mir einmal, wie sie in den Ferien durch Istanbul streifte und die Gerüche und den Rhythmus der Stadt einsaugte. Es kam ihr jedes Jahr vor, als ob sie diese Stadt neu entdecken würde.

Vor allem bei Kleinkindern hat diese sinnlich-sprachliche Erfahrungswelt einen großen Einfluss auf deren Entwicklung. Denn, wie die Philologin und Wissenschafterin Manuela Macedonia sagt, bis zum Alter von fünf Jahren befinden wir uns im sensiblen Zeitfenster, und in dieser Zeit lernt das Gehirn besonders gut, auch Sprache.

Motivation von Kind zu Kind

Es entstehen aber auch eine Vielzahl an Situationen, in denen Sprache passiert, die ortsgebunden sind und die im deutschsprachigen Alltag kaum möglich sind. Ich beobachtete meine Kinder in Spanien, wie sie nach nur wenigen Tagen für all das Worte hatten, das sie bis vor kurzem noch nicht einmal gekannt hatten; spezifische Speisen, Phänomene aus der Welt der Kinder, die es nur dort gibt, gesellschaftliche Konzepte, die an Ort, Zeit und Generationen gebunden sind, denen sie in Wien nicht begegnen können. Eine Umgebung reich an sprachlichen Reizen ist schließlich das Um und Auf für das sprachliche Wachstum. Das zeigen zum Beispiel die Forschungsergebnisse der Sprachwissenschafterin Katharina Brizic.

Im Urlaub ergeben sich aber auch motivierende Begegnungen, die nachhaltig die kindliche Beziehung zu Sprache und Kultur beeinflussen können. Ich erinnere mich an eine Mutter aus einem meiner Workshops, die erzählte, wie sie in Brasilien, dem Herkunftsland ihres Vaters, im Urlaub Freundschaften knüpfte. Wieder zurück in Wien, erhielt sie diese per Chat aufrecht. Und weil sie sich beim Chatten nicht blamieren wollte, lernte sie, besser Portugiesisch zu schreiben und sich schriftlich auszudrücken. In den Begegnungen mit anderen Kindern spürt das Kind, dass es in seiner vielleicht schwächeren Sprache viel bewirken kann. Es merkt, wie es abseits der Eltern mit dieser Sprache selbstständig agieren kann und welche kommunikativen Vorteile sie ihm bringt. Das sind wichtige Erfahrungen, um das Kind für eine Sprache zu motivieren, die in seinem Alltag sonst einen eingeschränkten Wirkungsbereich hat.

Ich weiß noch, wie mein Sohn erstaunt am Flughafen feststellte: "Mama, hier sprechen ja alle Bulgarisch!" Auch diese Erkenntnis ist wichtig, vor allem für Kleinkinder.

Eine große Chance – keine Gefahr

Jeder dieser Aufenthalte kann eine große Chance sein. Und es ist keine Gefahr für die deutsche Sprache des Kindes, denn Sprachsysteme werden in ihrem Wachstum gegenseitig bereichert. Das Kind lernt durch seine Sprache, die Welt besser zu verstehen, und das wirkt sich natürlich auch auf alle weiteren Sprachen positiv aus. Jede neue sprachliche Errungenschaft ist auch eine kognitive Weiterentwicklung und letztendlich eine Errungenschaft, die sich auf das andere Sprachsystem übertragen lässt.

In diesem Sinne allen Kindern wunderbare Ferien! (Zwetelina Ortega, 26.6.2018)