"Der einzige, der bei dieser Wahl verloren hat, ist die AKP. Die Demokratie hat gewonnen", erklärte der Vorsitzende der türkischen Oppositionspartei CHP am Dienstag am Parteisitz in Ankara. Die Kemalisten-Partei (das Konterfei von Kemal Atatürk prangt an der Wand im Pressesaal des Parteigebäudes) büßte bei den Parlamentswahlen drei Prozentpunkte ein, die AKP sieben. Aber sie regiert weiter.

AFP / Adem Altan

Starke Worte, schwache Position: Zwei Tage nach der neuerlichen Wahlniederlage griff der Führer der größten türkischen Oppositionspartei Staatspräsident Tayyip Erdogan vehement an. Der gestrige Alleinherrscher sei heute eine "lahme Ente", behauptete Kemal Kiliçdaroglu vom wiedergewählten Staatschef. "Er wird nicht mehr tun können, was er will. Wir aber werden das Ansehen des Parlaments schützen."

In der Republikanischen Volkspartei (CHP) selbst waren am Dienstag viele überrascht vom Auftritt ihres Vorsitzenden Kiliçdaroglu. Erwartet wurde eigentlich, dass Kiliçdaroglu seinen Platz räumt oder zumindest seine Bereitschaft dazu andeutete. Denn die CHP hatte bei der Parlamentswahl am vergangenen Sonntag noch einmal drei Prozentpunkte verloren und kam auf 22,6 Prozent. Ihr Präsidents!chaftskandidat Muharrem Ince aber erreichte mehr als 30 Prozent. Dies war wiederum das beste Ergebnis für die CHP in 40 Jahren.

Taktisches Geschick

Kiliçdaroglu, ein ehemaliger Direktor der Sozialversicherungsanstalt in der Türkei, führt die Kemalisten-Partei seit 2010. Im vergangenen Jahr marschierte er aus Protest gegen die Verurteilung eines CHP-Abgeordneten zu einer langen Haftstrafe zu Fuss von Ankara nach Istanbul. Als Erdogan im April vorgezogene Wahlen ansetzte, legte Kiliçdaroglu einiges Geschick an den Tag, formte ein Vierparteienbündnis und schickte seinen parteiinternen Rivalen Ince als Präsidentenkandidaten ins Rennen.

Hüseyin Aygün, ein linker kurdischer Politiker und ehemaliger CHP-Abgeordneter, listete all dies in einer Twittermeldung auf und schloss: "Ein Freund sagt Bitteres. Jetzt ist Zeit für den Wechsel".

Kritik an Ince

Kiliçdaroglu griff bei seinem Auftritt am Parteisitz in Ankara sogar indirekt den Präsidentenkandidaten Ince an. Der hatte nach der Wahl höflich Erdogan zum Sieg gratuliert. Einem Menschen, der nicht an die Demokratie glaube, kann man nicht gratulieren, sagte Kiliçdaroglu nun.

Die CHP stellt mit 146 Abgeordneten im neuen Parlament die zweitgrößte Fraktion nach der konservativ-islamischen AKP von Erdogan. Während die AKP zusammen mit der rechtsgerichteten Partei MHP die absolute Mehrheit im Parlament halten wird, könnte die CHP eine bunte Opposition koordinieren: Mit der neuen rechtsnationalen Iyi Parti (die Gute Partei) war sie schon bei der Wahl verbündet; der islamistischen Saadet-Partei gab die CHP drei Abgeordnetensitze; die prokurdische Minderheitenpartei HDP ist mit 67 Abgeordneten die drittgrößte Kraft.

Akşener macht weiter

Das Parlament, das am 8. Juli zusammentritt, ist jedoch im neuen Verfassungssystem noch weiter geschwächt. Der Umstand, dass die Präsidentenkandidaten der Opposition nicht im Parlament sitzen, kommt noch erschwerend dazu. Meral Akşener, die gescheiterte Kandidatin der Iyi Parti, versicherte am Dienstag bei ihrem ersten Auftritt nach der Wahl, sie würde nun ihre Partei von Außen führen. (Markus Bernath, 26.06.2018)