Löw lässt seine Zukunft offen.

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Kasan – Bei Joachim Löws Abschiedsworten in Kasan drängte sich der Verdacht auf, dass die Ära des entzauberten Weltmeistertrainers von 2014 mit dem Vorrunden-Aus in Russland beendet ist. "Ich bin jetzt auch geschockt. Wie es weitergeht, darüber muss man mal in Ruhe reden. Das ist für mich jetzt zu früh, ich muss mich erst mal sammeln. Ich bin maßlos enttäuscht über das Ausscheiden", konstatierte der deutsche Coach nach dem Ausscheiden gegen Südkorea am Mittwoch.

Nach dem Rückflug nach Deutschland am Donnerstag stehen dem Verband und den Verantwortlichen um Präsident Reinhard Grindel und Teammanager Oliver Bierhoff turbulente Tage bis Wochen bevor – und vermutlich die Suche nach einem Löw-Nachfolger. "Es wird wichtig sein, alles aufzuarbeiten. Es wird alles hinterfragt. Das machen wir auch nach anderen Turnieren. Jetzt wird es noch kritischer", sagte Bierhoff.

Aufarbeiten

"Wir waren moralisch tot nach dem Gegentor", meinte Löw. Vor dem anstehenden Frusturlaub vermieden auch erfahrene Spieler wie Kapitän Manuel Neuer (32), Mario Gomez (32) und Sami Khedira (31) Überreaktionen in Form von Rücktritten aus der Nationalmannschaft. Bierhoff mahnte: "Es werden mehrere Punkte sein, die man zusammentragen muss, ohne dass man alles über den Haufen schmeißt oder alles infrage stellt."

Zumindest Untergangsszenarien hielt Löw für unangemessen. "Ob ich eine dunkle Zeit für den deutschen Fußball befürchte? Das denke ich nicht. Wir waren bis zu diesem Turnier die konstanteste Mannschaft der letzten zehn, zwölf Jahre. Wir waren immer unter den letzten vier bei den Turnieren. Wir haben eine lange Periode hinter uns mit der Krönung 2014 in Brasilien und 2017 beim Confed-Cup."

Gegenwärtig sind die großen Leistungen der Vergangenheit aber ein schwacher Trost: "Jetzt hat es uns getroffen, das ist absolut traurig. Aber wir haben schon auch junge Spieler, die sehr talentiert und entwicklungsfähig sind. So etwas ist anderen Nationen auch schon passiert. Deswegen müssen wir daraus die richtigen Schlüsse ziehen", sagte der 58-Jährige.

Basler kritisiert Özil

Ehemalige Nationalspieler und andere Weggefährten üben unterdessen harte Kritik an der deutschen Nationalmannschaft. "Die Spieler waren nicht bei einhundert Prozent. Niemand war in der Lage, diese Mannschaft zu führen", sagte Mario Basler beim "Business Viewing" im Kölner Rheinloft. Diese Qualitäten sprach er vor allem Mesut Özil ab: "Er ist nicht dieser Führungsspieler, der er gerne sein möchte."

Die Schuld für das schlechte Abschneiden sieht Basler aber nicht beim Trainergespann: "Wenn die Spieler ihre Form nicht bringen, dann bist du als Trainer machtlos." Stattdessen forderte er, dass "einige Spieler intensiv darüber nachdenken, ob sie das Nationaltrikot wirklich noch mal anziehen".

Eine ähnliche Reaktion erwartet auch der frühere Leverkusener Manager und Geschäftsführer Reiner Calmund: "Die Spieler müssen selbstkritisch sein und Demut zeigen", schließlich habe keiner von ihnen "seine Qualitäten auf dem Platz abrufen können". Der 69-Jährige mahnte jedoch auch, nicht die gesamte Struktur des deutschen Fußballs infrage zu stellen. "Wir dürfen jetzt nicht alles in Schutt und Asche legen", so Calmund.

Matthäus: "Selbstherrlich"

Auch Lothar Matthäus ging hart ins Gericht. "Die Mannschaft hat nie funktioniert und war keine Einheit. Sie hat keine Leidenschaft gezeigt. Und viel schlimmer: Sie war selbstherrlich", schrieb Matthäus in der "Fußball-Bild" vom Donnerstag. Das Vorrunden-Aus bezeichnete der 57-Jährige als "die größte Blamage in der deutschen Fußballgeschichte".

Trotz grundsätzlicher Sympathien für Löw warf der Kapitän der deutschen Weltmeister-Elf von 1990 dem Coach Fehler vor: "Die Personalplanung von Löw muss infrage gestellt werden. Der Mannschaft fehlten Typen mit Ecken und Kanten." Ausdrücklich nannte Matthäus dabei den Verzicht auf die Nominierung von Sandro Wagner und Leroy Sane als Beispiele für Fehlentscheidungen des Bundestrainers. Für den 150-maligen Nationalspieler steht Löw "ab sofort zu Recht in der Kritik".

Matthäus hätte sich in Russland insgesamt mehr Bedeutung der jüngeren Spieler im Team gewünscht. Spieler wie Niklas Süle, Timo Werner und Leon Goretzka "hätten viel mehr eingebunden werden müssen", sagte Matthäus. Als Konsequenz aus der Pleite fordert er, dass die DFB-Elf "rund um die Führungsspieler Manuel Neuer und Toni Kroos mit neuen Gesichtern aufgebaut werden muss". (APA, sid, red, 28.6.2018)