Beim "Klassentreffen" im Mumok finden sich nicht nur alte Bekannte wieder, in die Sitzreihen B I L D U N T E R S C H R I F T: mischen sich immer wieder neue Gesichter: etwa Lin May Saeeds Skulptur "Freie Liebe" (2006).

Foto: Lin May Saeed / Sammlung Gaby und Wilhelm Schürmann, Herzogenrath

Pinselduktusvorführung interessiert sie nicht: das Sammlerpaar Gaby und Wilhelm Schürmann aus Herzogenrath bei Aachen.

Foto: Christian Benesch, © mumok

"I like it when you don't like it – das ist genau meine Mentalität!" Wilhelm Schürmann zeigt begeistert auf das kleinformatige Textgemälde von Nicolas Jasmin. Den in Wien lebenden Künstler hat der deutsche Sammler auf Instagram gefunden. Angetan hatte es ihm eine Arbeit, die einen Rolling-Stones-Song zitierte: You can't always get what you want - Herausgefordert von dieser Ansage "wollte ich die natürlich haben!"

Gemeinsam mit seiner Frau Gaby sammelt der 1946 geborene Fotograf seit über 40 Jahren, zunächst historische Fotografie, seit den frühen 1980er-Jahren bildende Kunst der Gegenwart. Trotzdem ist die Ausstellung im Mumok die erste Präsentation ihrer Kollektion außerhalb Deutschlands. Klassentreffen heißt dieser Einblick in das, was den Schürmanns wichtig ist: Kunst, die den Betrachter fordert und mit seiner eigenen Erwartungshaltung konfrontiert, ohne dabei den Zeigefinger zu schwingen.

Die der Schau den Titel leihende Installation Klassentreffen (2008) der iranischen Künstlerin Nairy Baghramian bezeichnet Schürmann in Anlehnung an die skulptural verformten, sich in eigenständige Charaktere verwandelnden Gehhilfen als "Sehhilfe": "Jedes Kunstwerk kann uns einen anderen Blickwinkel auf die Wahrnehmung von Kunst eröffnen und damit auch auf uns selbst. Darin steckt der eigentliche Mehrwert."

Immer schwingt ein Augenzwinkern, ein kleines Schmunzeln mit, das den Sinn für Humor der Schürmanns durchscheinen lässt. Ihnen gefallen Kunstwerke, die keine großen Behauptungen aufstellen. Stefan Sandners Gemälde Ohne Titel (2012) zeigt etwa einen überdimensional vergrößerten Notizzettel. Dieses Lapidare, das sei einfach ganz großartig und eben auch Malerei – aber nicht Pinselduktusvorführung.

Sprachliche Finessen

Eine Reihe Kleinformate bildet das, was Wilhelm Schürmann den "Wahrnehmungseinstieg" in die Präsentation nennt. Sie verdichten die Grundsätze des Schürmann'schen Kunst- und Sammlungsbegriffs: darunter beispielsweise eine Referenz auf Konrad Lorenz' Gestaltwahrnehmung, die für die beiden studierten Naturwissenschafter ein Schlüsselbegriff der Kunstbetrachtung ist.

Auf einem Foto (Jens Preusse) posiert Franz West in gespielter Wiener Blasiertheit vor einem Rolls-Royce – die Galionsfigur ist durch ein braunes Miniaturtrümmerl ersetzt. Gleich daneben findet sich eine anonyme Aufnahme aus dem Internet. Es ist das Selfie zweier Teenager, der Schattenwurf der Kamera verdeckt ihre Gesichter. Titel: Im Schatten unserer Blödheit. Solche sprachlichen Feinheiten gefallen den Schürmanns, sie sind ein roter Faden, der Ausstellung, die vielfältige künstlerischer Positionen aufeinanderprallen lässt.

Klassentreffen ist nicht nur ein Wiedersehen mit Wiener Künstlern, sondern auch eine Rückkehr zu Wilhelm Schürmanns Anfängen als Fotogalerist. 1972 lernt er in Wien Rudolf Kicken kennen. Gemeinsam besuchen sie die zwei Jahre zuvor gegründete Galerie Die Brücke – die erste Fotogalerie der Nachkriegszeit in Europa – und beschließen, selbst einen Raum zu eröffnen. Sie durchstöbern Wiens Antiquariate, fördern "unfassbare Dinge aus dem 19. Jahrhundert" zutage, die den Grundstock der Galerie Schürmann & Kicken in Aachen bilden.

Trotz erster Erfolge trennte man sich schon 1978 wieder. "Ich wollte die Dinge behalten, anstatt sie zu verkaufen", gesteht Schürmann. Das Ausscheiden aus der Galerie bescherte den Schürmanns allerdings eine zunächst nicht zu bewältigende Steuernachzahlung, und so musste die Sammlung doch verkauft werden. Der Deal mit dem Getty Museum in Los Angeles war lukrativ, löste das Steuerproblem und ermöglichte obendrein, wieder Kunst – dieses Mal zeitgenössische bildende Kunst – zu kaufen. Schon zu Schulzeiten hätte sie sich für Kunst interessiert, erzählt Gaby Schürmann. Doch sei diese damals für sie nicht leistbar gewesen. Aus heutiger Sicht erscheinen ihr die Summen aber geradezu rührend.

Sehnsuchtsort Los Angeles

Damals aufstrebende Künstler wie Martin Kippenberger und Albert Oehlen legten den Grundstein der späteren Sammlung. "Am Anfang war das einfach nur eine Addition einzelner Dinge. Hinterher merkten wir, wie sich da Verbindungslinien einstellten. Dann fing das Sammeln an."

Es kamen zahlreiche Österreicher dazu: Franz West, Heimo Zobernig, Oswald Oberhuber oder Heinrich Dunst. Aber auch die Kunst der amerikanischen Westküste nimmt einen besonderen Platz in der Sammlung ein: "Los Angeles war immer ein Sehnsuchtsort", erzählt Wilhelm Schürmann. Bereits während des Studiums war er immer wieder hingereist, lernte Künstler wie John Baldessari, Paul McCarthy oder Mike Kelley kennen und tauschte sich mit ihnen aus. Künstler also, die heute berühmt sind und deren Werke hohe Preise erzielen. Doch sowohl Gaby als auch Wilhelm Schürmann betonen, dass es ihnen nie ums Geld ging.

Für die Schürmanns war Kunst zunächst stets Kulturinvestment gewesen – "hier oben für die Denkapparate". Der Besitz an sich sei ihnen gar nicht so wichtig, weshalb sie immer wieder Arbeiten verkaufen, um neue Ankäufe zu finanzieren. Auch habe man sich nie verschuldet für ein Werk, schließlich sei das Leben dann doch wichtiger als die Kunst. Was das Kriterium für einen Kauf sei? Eine schwer festzumachende "Richtigkeit" der Arbeit. Der Erwerb eines Kunstwerks sei aber immer auch eine Form öffentlicher Identifikation: "Das wird Teil der Biografie, Lebensbestandteil, anders als ein Museumsbesuch."

Als Gaby Schürmann die Performance der jungen Nora Turato im Aachener Kunstverein erwähnt, geraten beide ins Schwärmen. Turatos Textarbeiten sind die jüngsten Neuzugänge in ihrer Kollektion. "Aber das hat mit Geld nichts zu tun, das hat 50 Euro gekostet", meint Schürmann mit Blick auf das ausgestellte Plakat. Vielmehr gehe es um die hervorstechende Persönlichkeit der Künstlerin. Die Schürmanns zählen nicht zu jenen Sammlern, die Trophäen anhäufen, dennoch blitzt in diesem Moment so etwas wie Jagdinstinkt durch – die freudige Gewissheit des Entdeckers, etwas wirklich Besonderes gefunden zu haben. (Kathrin Heinrich, 29.6.2018)