Sie werd'n a Haus bauen, sie ham uns a Haus herbaut: Das Hochhaus am Heumarkt scheint beschlossene Sache zu sein – die Öffentlichkeit muss man erst gar nicht mehr informieren.

Foto: WertInvest

Was wir dieser Tage rund um die Diskussion zum Unesco-Weltkulturerbe erleben, ist wundersam. Es geschieht vor den Augen der Öffentlichkeit, die mangels medialer Berichterstattung gar nicht merkt, was sich hier gerade dreht. Unsere These: Die letzten Tage wurden dazu genutzt, den Umgang mit unserer städtebaulichen Identität richtungsweisend zu verändern.

Während noch vor Inkrafttreten einer neuen Wiener Bauordnung an allen Ecken und Enden Biedermeier- und Gründerzeitbauten von tüchtigen Immobilieninvestoren dem Erdboden gleichgemacht werden, um den neuen – strengeren – Abrissregelungen zu entkommen, lanciert die Bundesregierung mitten in der Unesco-Kernschutzzone ein lange geplantes Manöver. Unterstützt wird sie dabei paradoxerweise von der rot-grünen Stadtregierung, für die der gemeinsame Zweck alle Mittel heiligt.

Umwidmung

Wer dieses Manöver verstehen will, muss nur einige wenige Ereignisse gegenüberstellen:

Im Sommer 2017 hat der Wiener Gemeinderat das Grundstück am Wiener Heumarkt nach den Bedürfnissen des Investors Michael Tojner umgewidmet. Für ein Projekt, das auf größten Widerstand in der österreichischen Bevölkerung stößt und den Idealen der Wiener Stadtregierung diametral entgegenstehen müsste.

Mitten im historischen Zentrum der Stadt Wien, dem Unesco-Weltkulturerbe, soll ein 66-Meter-Turm der ganzen Stadt die Sicht verbauen, damit in den obersten Stockwerken eine Handvoll hochprofitabler Luxus-Penthouse-Wohnungen entstehen kann.

Die Unesco hat von Beginn an das Vorhaben als inakzeptablen Eingriff in die historisch gewachsene Struktur der Altstadt abgelehnt und das historische Zentrum der Stadt Wien deshalb auf die Rote Liste des gefährdeten Weltkulturerbes gesetzt. Der Verlust der Welterbestatus würde weiteren Bauprojekten Tür und Tor öffnen, bis sich das Wiener Stadtbild typologisch nicht mehr von dem anderer Großstädte unterscheidet.

Enden der Hoffnung

Die Kritik an der Stadtregierung war – zu Recht – sehr groß und kam nicht nur von der Öffentlichkeit und aus den eigenen Reihen, sondern auch von ÖVP und FPÖ. Als nun gerade diese beiden Parteien im Herbst 2017 auf Bundesebene eine neue Regierung bildeten, regte sich unter den Gegnern des Hochhausprojektes Hoffnung.

ÖVP und FPÖ könnten zeigen, wie ernst sie es mit ihrer Gegnerschaft zum Heumarktturm meinen – Möglichkeiten dazu standen und stehen ihnen tatsächlich einige offen. Die Regierungsfraktionen könnten neben einer Anfechtung vor dem Verfassungsgerichtshof einen neuen Flächenwidmungsplan im Parlament beschließen, der den geltenden des Landes Wien außer Kraft setzt.

Die Regierung könnte Weisung an das Land erteilen, die Widmung rückgängig zu machen. Besonders brisant ist: Das sind keine bloßen Optionen, die im politischen Ermessen liegen. Es ist vielmehr die rechtliche Verpflichtung der Bundesregierung, von den durch Artikel 16 B-VG zur Verfügung gestellten Möglichkeiten Gebrauch zu machen, um einen vertragskonformen Zustand nach dem Völkerrecht herbeizuführen.

Die Hoffnungen auf ein Einschreiten der Bundesregierung sind aber gedämpft. Sowohl der zuständige Minister Gernot Blümel als auch der blaue Koalitionspartner haben zwar ihre PR-Diskussionen zum Thema Heumarkt veranstaltet, bei denen sie sich entschieden gegen das Projekt ausgesprochen haben, handeln wollen sie aber nicht. Vielmehr betonen sie seit Monaten, auf Dialog zu setzen und zwischen Unesco und der Stadt Wien als Vermittler aufzutreten.

Sanktionen erst nach dem Bau

Eine Antwort auf die Frage, warum sie nicht konkrete, wirksame Mittel ergreifen, aktiv werden und das Projekt verhindern, wie sie es zuvor angekündigt haben, geben sie keine. Vergangenen Montag kam nun die – im Übrigen schon seit Wochen erwartete – Meldung, die Unesco würde Wien weiterhin auf der Roten Liste belassen, den Status aber vorerst nicht aberkennen. Den darauffolgenden Jubelmeldungen von Stadt und Bund zum Trotz: Dieser Beschluss hat nichts zu bedeuten.

Es entspricht der gängigen Praxis der Unesco, dass Sanktionen erst dann gesetzt werden, wenn konventionswidrige Handlungen nicht nur angekündigt, sondern auch tatsächlich vollzogen werden. Das bedeutet im Fall von Wien: Der geplante 66-Meter-Luxuswohnturm wird Wien den Welterbestatus kosten, und zwar dann, wenn begonnen wird, ihn zu errichten.

Bei der Lektüre der Pressemeldungen, die die Verantwortlichen als Reaktion auf den Beschluss der Unesco an die Medien ausgesendet haben, fällt etwas auf: Die Erzählung ist in diesen Tagen von allen Seiten umgeschrieben worden. SPÖ und Grüne feiern "ihren" Sieg bei der Unesco-Sitzung und sprechen allen Ernstes von einem gemeinsamen Erfolg von Stadt und Bund. Minister Blümel jubelt über den Erhalt des Weltkulturerbes und führt ihn auf die intensiven Bemühungen der Bundesregierung zurück.

Ein Wort geht jedoch niemandem über die Lippen: Heumarkt. Das Bauprojekt wird plötzlich von keiner Seite mehr erwähnt. Sowohl Blümel als auch die FPÖ, die stets besonders laut gegen den vorliegenden Entwurf gepoltert hatte und dieser Tage gar keine Stellungnahme abgibt, machen von einem Tag auf den anderen einen großen Bogen um das zentrale Thema der Diskussion.

Vollendete Tatsachen

Der Plan dahinter ist evident: Die Berichterstattung soll sich ab nun nicht mehr um den Heumarkt drehen, der Kern des Problems wird einfach ausgespart und damit stillschweigend zur vollendeten Tatsache erklärt. Schlagartig geht es nur noch um die Verhandlungen mit der Unesco, die Fortschritte dieses Prozesses und um ein erhofftes Einlenken der Organisation.

Im selben Atemzug wird die Position der Unesco im wahrsten Sinne des Wortes abgegraben. Wiens Nummer zwei, der rote Landtagspräsident Woller, denkt in der "Presse am Sonntag" schon laut darüber nach, dass die Unesco-Schutzzone viel zu groß sei, weil sie auch einen Bereich um die Ringstraße erfasse, der nicht zum ersten Bezirk gehöre.

Die Schutzzone, die aktuell ein Prozent der gesamten Stadtfläche beträgt, solle laut Woller weiter verkleinert werden. Was das beutet, ist klar: Es werden schon die nächsten Hochhäuser geplant.

Worüber offenbar Einigkeit herrscht: Am Heumarkt wird gebaut, und die Öffentlichkeit muss darüber nicht einmal mehr informiert werden. Der Flächenwidmungsplan ist endgültig, und der Diskurs wird von den Medienprofis auf Nebenschauplätze verlagert. Und wenn diese Hochhäuser – es sind nämlich zwei – erst stehen, folgen weitere im Nahbereich der Ringstraße, Schutz davor gibt es dann keinen mehr.

Erst kürzlich erzählte Minister Blümel im Nationalrat, seine Eltern hätten ihn gelehrt, man solle nicht lügen. Ich bin überzeugt, er hält sich stets an diesen Grundsatz. Seine vielfach verlautbarte Gegnerschaft zum geplanten Hochhaus am Heumarkt würde ich aktuell dennoch gerne erneuert wissen. (Wolfgang Zinggl, 2.7.2018)