Karrrlskörrrche? Unsicher angesichts des für fremde Zungen unaussprechlichen Wortes, deutet eine Touristin auf die Kuppel der Salesianerinnenkirche. "No, it's the church of the monastery." Enttäuscht wendet sich die Frau von Franz Alts Aquarell ab. Auch draußen vor dem Oberen Belvedere hätte sie kein Glück: Der monumentale Barockbau Fischer von Erlachs ist vor dem Schloss nicht auszumachen.

Gerhard Gutrufs Fotomontage "Panorama 2022" inszeniert die Befürchtungen der Heumarkt-Gegner: der Turm als Anfang für weitere Bauten.
Foto: Gerhard Gutruf

Der berühmte Canaletto-Blick, 1758-61 von Bernardo Bellotto gemalt, mit den symmetrischen barocken Sichtachsen, dominiert vom Stephansdom und den beiden flankierenden Kuppelkirchen, ist über die Jahrhunderte zu dem Signet der Stadt geworden. Allerdings: Die linksseitige Perspektive des Bildes mit der Karlskirche ist in der Realität seit langem von der üppigen Vegetation des Schwarzenbergparks verstellt. Malerisch ist der Blick aufs Zentrum allemal. Normalerweise. Aktuell zählt man neun Baukräne, die sich als störende Vertikalen ins wie komponiert wirkende Panorama schieben. Das wird sich – der Dachausbau-Boom hält an – wohl nicht so bald ändern.

Sattsehen an Stadtansichten

Besucher zieht es also auf der Suche nach der schönen Habsburger-Perspektive hinein ins Belvedere und in die Ausstellung Der Canalettoblick. Dort können sie sich sattsehen an mehreren Dutzend romantischen, vielfach von Canaletto inspirierten Stadtansichten; für das Original Wien, vom Belvedere aus gesehen müssen sie jedoch ins Kunsthistorische Museum (KHM) pilgern. Das Gemälde, das Kaiserin Maria Theresia einst beim angesehenen venezianischen Vedutenmaler zur Dokumentation ihrer reichen Bautätigkeit in Auftrag gab, konnte aus konservatorischen Gründen nicht verliehen werden. Das gut zwei Meter messende Bild ist aber quasi live zugeschaltet – für einen Monitorabgleich mit einem Live-Bild der realen Situation.

Das Wort "Canalettoblick" ist für die Wiener in den letzten Jahren eher zum Reizwort geworden, zu sehr ist es als Referenz für die Geschlossenheit der historischen Innenstadtbebauung, mit dem Streit um das Hochhausprojekt am Heumarkt verknüpft. Mit einer geplanten Bauhöhe von 66 Metern (um 23 Meter zu viel) katapultiere dieses das historische Zentrum Wiens auf die Rote Liste der bedrohten Weltkulturerbestätten. Und so ist die bis in die Gegenwart des umstrittenen Bauvorhabens führende Schau im Belvedere freilich nicht allein für Touristen konzipiert und sicher nicht zufällig zeitlich parallel zur Tagung des Unesco-Welterbekomitees in Bahrain platziert.

Gerhart Frankls "Blick vom Belvedere auf Wien (Landschaft I)"
Foto: Johannes Stoll/Belvedere, Wien

Vergangenen Dienstag hätte dort über Wiens Welterbe-Schicksal entschieden werden können. Doch überraschend rutschte Österreich von der Tagungsordnung. Das dreistufige Maßnahmenpaket der Bundesregierung, das etwa eine Begutachtung der Unesco und ein Expertentreffen des Denkmalrats ICOMOS im November umfasst, erwirkte einen Aufschub. Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) und die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou feiern das als "großen Erfolg", als wäre die Unesco damit bereits erweicht. Landtagspräsident Ernst Woller (SPÖ), momentan Chefverhandler in der Causa, klingt nicht minder überzeugt, wenn er erzählt, die Presse berichtet, man haben den Unesco-Experten "zeigen können, dass die heruntergekommenen Bereiche dem Welterbe mehr schaden als das geplante Projekt". Aber ist solch Optimismus angemessen?

Sabine Haag, KHM-Direktorin und seit 2018 Präsidentin der österreichischen Unesco-Kommission, mahnt ernsthafte Lösungen ein (siehe Interview unten): Weder sei durch den Aufschub der Entscheidung vorgegriffen, noch sei es durch den Drei-Stufen-Plan zu einer "entscheidenden Weichenstellung" gekommen. Vielmehr müsste man 2019 echte Fortschritte nach Paris berichten. "Der Wunsch und der Wille, dass etwas getan werden muss, um diesen Welterbestatus nicht zu gefährden", müsse ablesbar sein.

Sicher kein Kompromiss

Kompromiss, so Haag, werde es definitiv keinen geben, denn "die Kriterien für den Welterbestatus sind unverändert". Diese bedeuten kein "generelles Bauverbot oder Veränderungsverbot". Konkreter: "Wenn das Heumarkt-Projekt in der bestehenden Form umgesetzt würde, wäre das eine klare Verletzung der Kriterien für den Welterbestatus, und natürlich müsste dieser dann in logischer Konsequenz aberkannt werden."

Franz Xaver Joseph Sandmann nach Jakob Alt, "Wien aus dem Luftballon gesehen von Süden", 1847/50
Foto: Johannes Stoll/Belvedere, Wien

In erster Linie ginge es bei der Beobachtung der Unesco um den Heumarkt, so Haag, aber auch um die Pläne rund um Karlskirche und Wien-Museum oder das Gastroprojekt im Schwarzenberpark. Nur wenn man "konkrete Verbesserungsvorschläge erkennen kann, könnte noch Bewegung in die Sache kommen".

Im Belvedere will man sich mit der Ausstellung kein Urteil anmaßen. Interessiert hat Kurator Martin Fellinger, das manipulative Potenzial solcher Stadtansichten zu illustrieren, denn sowohl Gegner als auch Befürworter nutzen den Canalettoblick für ihre Argumentation. Es ist eine bildkritische, den Blick schulende Schau.

Schon Canaletto hatte den Maßstab einiger Gebäude verändert, um sie prominenter aus der Stadtsilhouette auftauchen zu lassen. Auch heute noch benutzen Architekten Weitwinkelperspektiven, wenn es gilt, Szenerien offener und zugänglicher wirken zu lassen. Kurz: Stadtansichten wurden und werden inszeniert. Gestern genau so wie heute.

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Sabine Haag: "Kriterien sind unverändert"

Die Chefin des Kunsthistorischen Museums ist Präsidentin der österreichischen Unesco-Kommission. Im Streit um das geplante Hochhaus am Heumarkt sieht sie die Politik am Zug.

STANDARD: Was ist in der Heumarkt-Debatte falsch gelaufen?

Sabine Haag: Es fehlte das Bewusstsein, was es für Konsequenzen hat, wenn gewisse Schritte gesetzt werden. Also dass ich ein Projekt entwickle, von der Stadt genehmigen lasse, von dem die Stadt zugleich wissen müsste, dass damit gegen den Welterbestatus verstoßen wird. So was sollte nicht passieren.

STANDARD: Es wurde mit einem dreistufigen Maßnahmenkatalog ein Aufschub für die Entscheidung über den Welterbestatus erwirkt. Was verspricht man sich davon?

Haag: Die Unesco will unter keinen Umständen Welterbestätten verlieren, sie unternimmt alles, um den Staaten mit den gefährdeten Stätten zu helfen. Einer Entscheidung ist damit nicht vorgegriffen worden, und es gibt dadurch auch noch keine entscheidende Weichenstellung.

STANDARD: Ist derzeit ein Kompromiss vorstellbar?

Haag: Die Kriterien, die für die Anerkennung des Welterbestatus gelten, sind unverändert. Die Unesco hat nur beratende Funktion, sie selbst kann die Welterbestätten nicht beschützen, Lösungsvorschläge müssen von den Akteuren – in dem Fall von der Stadt Wien gemeinsam mit der Bundesregierung – vorgelegt werden. Wenn das Heumarkt-Projekt in der bestehenden Form umgesetzt würde, wäre das eine Verletzung der Kriterien für den Welterbestatus, und er müsste in Konsequenz aberkannt werden.

STANDARD: Was bedeutet das Welterbe für den Tourismus?

Haag: Wenn man sagt, für den Tourismus ist das gut oder schlecht oder unerheblich, dann greift das viel zu kurz. Welterbe ist ein Schutzinstrument, aber kein Instrument der Stadtplanung. Es geht hier nicht primär um ein touristisches Gütesiegel, sondern um den Erhalt einer Welterbestätte mit einem besonderen Wert für die Bewohner und die Menschen.

STANDARD: Was ist Ihre Rolle?

Haag: Eine vermittelnde. Aber weder obliegt mir eine Entscheidungs- noch eine Empfehlungskompetenz. >>>Langfassung des Interviews (Anne Katrin Feßler, 1.7.2018)