Demo für die hungerstreikenden politischen Gefangenen Semih Ozakca und Nuriye Gulmen, denen Mitgliedschaft in der DHKP/C vorgeworfen wird, am 9. November 2017 in Ankara.

AFP/ADEM ALTAN

Wien – Einmal drei Monate bedingt, einmal Freispruch: So lauten zwei bisher ergangene Urteile in einem Terrorgroßverfahren gegen insgesamt 17 Personen aus Kreisen der radikalen türkischen Linken in Österreich. Beim Justizsprecher der SPÖ, Hannes Jarolim, und einer Reihe Anwälte sorgen sie für scharfe Kritik.

Im Mittelpunkt der Vorhaltungen stehen Ereignisse am 1. Mai 2015 in Wien. Im Anschluss an die Aufmärsche der SPÖ und der KPÖ hatte damals eine Gruppe aus dem Umfeld der Anatolischen Föderation (Afa) auf dem Ring demonstriert. "Etwa 150 Aktivisten und Sympathisanten" seien uniformiert und "in einer militanten Art und Weise" aufgetreten, steht in der Anklageschrift im Kernverfahren gegen sechs Männer und Frauen, die von der Staatsanwaltschaft Wien als Organisatoren der Kundgebung bezeichnet werden.

Strafrahmen bis zu zehn Jahren

Deshalb wird den drei österreichischen und drei türkischen Staatsbürgern "das Verbrechen der terroristischen Vereinigung laut Paragraf 278b/2 StGB" vorgeworfen, Strafrahmen bis zu zehn Jahre Haft. Der Prozess hat noch nicht begonnen – die Verhandlungen gegen elf weitere Demonstranten, die sich wegen "Aufforderung zu terroristischen Straftaten und Gutheißung terroristischer Straftaten" laut Paragraf 282a verantworten müssen, jedoch schon.

Laut besagter Anklageschrift trugen die Demonstranten "olivgrüne Hemden, dunkle Hosen", eine schwarze Kopfbedeckung sowie "rote Halstücher mit dem für die DHKP/C typischen Symbol des goldenen Sterns". Auch hätten sie Fahnen geschwenkt und "eine Vielzahl teils übergroßer Transparente sowie Plakate" mit sich geführt, mit "Fotos von diversen Attentätern".

Seit 2001 "Terrororganisation" in der EU

Die DHKP/C – auf Deutsch: Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front -, hat seit 1994 in der Türkei immer wieder Terrorattentate gegen Repräsentanten der Wirtschaft, Polizei und Justiz durchgeführt und wird in der EU seit 2001 als Terrororganisation gelistet. Die Anatolischen Föderationen in Westeuropa, auch die Afa in Österreich, werden von Verfassungsschützern als Vorfeldorganisationen bezeichnet – jedoch ohne sich selbst an gewalttätigen Handlungen zu beteiligen.

Sind manche Aktivitäten von Vereinen wie der Afa, auch legale, demnach als terroristisch einzustufen? Laut Staatsanwaltschaft Wien durchaus: Neben dem Erster-Mai-Aufmarsch kommen in der Anklageschrift etwa auch ein Fußballturnier und ein Sommerfest samt Auftritt der linken Musikgruppe Grup Yorum vor: Die Paragrafen 278 ff und 282a kriminalisieren auch Handlungen im sogenannten Vorfeld des Terrorismus.

Jarolim versus Funk

Im Afa-Verfahren würden diese Bestimmungen "als Hilfsmittel der Strafverfolgung" verwendet, ohne dass Delikte vorlägen, sagt SPÖ-Mann Jarolim. Es bestehe die Gefahr von Eingriffen in das Recht auf Meinungsäußerung. Anders sieht das der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk. Das von der Anklageschrift gegen die sechs Hauptbeschuldigten bezeichnete "Gesamtbild" ergebe, dass hier "Propaganda" für die DHKP/C betrieben worden sei. Ob das zutreffe oder nicht, müsse vom Gericht entschieden werden.

Insgesamt, so Funk, seien die Antiterrorgesetze aber durchaus problematisch: "Das Risiko der Bestrafung von Gesinnungen besteht." (Irene Brickner, 4.7.2018)