Traumrolle für Petra Morzé: Die Burgtheaterschauspielerin (im Bild mit Katia Ledoux, re., und Johanna Arrouas) gibt Blanche DuBois, die große Südstaatendame in Nöten.


Foto: Dimo Dimov

Petra Morzé ist sehr beschäftigt. Zum einen muss sie bei den Festspielen Reichenau binnen dieses Monats 27-mal die Blanche DuBois in Tennessee Williams' Endstation Sehnsucht spielen. Zum anderen muss sie in dieser Rolle jedem Kerl schöne Augen machen. Sie sucht einen, der sie erhalten könnte. Der Landsitz Belle Rève der Familie in Mississippi ist nämlich verloren. Der "schöne Traum" ausgeträumt. Es wird sie nun doch hoffentlich einer retten.

Bisher ist das nicht gelungen. So schneit sie also ihrer Schwester in New Orleans ins Haus. "Elysische Gefilde" lautet der trügerische Name der Gegend, in der diese wohnt. Tatsächlich ist es ein raues Arbeiterviertel. Stella (Johanna Arrouas) hat nach unten geheiratet. Ihr Mann Stanley (Daniel Jesch) begegnet uns als echter Kerl. Kernig, mit den Füßen auf dem Tisch und einem Grunzen als Gruß. Blanche stellt sich ihm mit einem Herumknicksen vor, als wäre ihre Ankunft eine freudige Überraschung.

Sie ist von diesem Leben in nur zwei Zimmern entsetzt. Herzstück der Bühne (Peter Loidolt) ist ein Podest, auf dem die kleine Wohnung Stellas steht. Ein Tisch mit ein paar Stühlen, wo Stanley und seine Freunde sich zum Pokern treffen, dazu eine lederne Liege. Wenn er Stella darauf mit seinen starken Armen leidenschaftlich packt, kann sie manch eheliche Brutalität vergessen. An der Wand gegenüber ragt eine Fassade auf, hinter der es ebenso manchmal scheppert. Schläge und Versöhnung, ein bekanntes Muster.

Schnaps zur Beruhigung

Und was macht Blanche? Sie braucht Schnaps zur Beruhigung. Abwechselnd mit heißen Bädern soll der Fusel das zarte Nervenkostüm beruhigen. Nützt wenig. Immer wieder springt ihre Stimme in die quiekenden Töne. "Geld verschwindet. Es verschwindet halt einfach", das will Stanley als Erklärung für den Verlust des Erbes auch seiner Frau nicht gelten lassen. Er und Blanche stehen im Dauerkonflikt. In ihren Figuren prallen das alte und das neue, das aristokratische und das proletarische Amerika aufeinander.

Beverly Blankenship inszeniert das Stück akkurat in der Zeit seiner Entstehung 1947. Sie modernisiert nichts, aber es ist keineswegs verstaubt. Die Inszenierung macht in ihrem Realismus vieles richtig. Möglich gemacht durch das starke Ensemble. Katia Ledoux singt zu alldem einen Soundtrack aus Schwermut.

Aus ihrem Schrankkoffer versucht Blanche sich eine heile Welt zu ziehen. Dabei helfen sollen ihr dünne Kleidchen und üppige Schmeicheleien. Sie hat sich aber in den letzten Jahren sogar bis hierher als Hure zum Gespött gemacht. Frauenschicksale in der Weltliteratur heißt seit 2012 ein Programmschwerpunkt bei den Festspielen Reichenau. Es ist nun zum siebenten Mal den Männern der Weltliteratur zu danken, dass sie immer wieder solche beschrieben haben.

Ein Mann der Arbeiterklasse

Zeitgemäßer als Blanches Schicksal scheint aber das von Stanley Kowalski. Tatsächlich ist er weniger plump, als man anfangs meint. Der Sohn polnischer Einwanderer fühlt sich von Blanche, die ihn oft "Polacke" nennt, erniedrigt. Dass er als Mann der Arbeiterklasse zugleich ehelich gewalttätig werden kann und sozialer Gewalt unterliegt, gibt seiner Figur eine Tiefe, die Jesch bravourös ausspielt.

In nichts nach steht ihm Morzé. Das Ende ist besonders rührend. Die so schön gebürsteten Locken sind raus. Blanche kann keinen Anschein mehr aufrechterhalten. Für Morzé sei es eine Traumrolle seit langem, steht im Programmheft. 24 Vorstellungen stehen ihr noch bevor. Das ist Massenabfertigung erster Güte. (Michael Wurmitzer, 4.7.2018)