Eine Polizistin bewacht in Amesbury einen Papierkorb.

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Ermittler in Schutzanzügen suchten am Freitag in Amesbury nach Spuren-

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STANDARD: Wie könnte es zu dem Zwischenfall im britischen Amesbury gekommen sein, bei dem am Samstag zwei Personen vergiftet wurden?

Rothbacher: Die Opfer könnten Rückstände des Anschlags im März berührt haben, es ist aber auch möglich, dass der Kampfstoff erneut ausgebracht wurde.

STANDARD: Wie lange halten sich Kampfstoffe wie das beim Anschlag auf die Skripals verwendete "Nowitschok" an der frischen Luft?

Rothbacher: Diese Kampfstoffe sind "sesshaft", halten sich also relativ lange. Man kann das mit Öltropfen vergleichen, die sich im Gegensatz zu solchen aus Wasser lange halten. Falls sie Witterungseinflüssen wie Sonnenschein oder Regen ausgesetzt sind, zerfallen sie natürlich schneller, an einem geschützten Platz kann sich das aber monatelang halten.

STANDARD: Kann es sein, dass trotz der Dekontaminierungsmaßnahmen nach den Skripal-Anschlag noch Rückstände vorhanden sind?

Rothbacher: Die Dekontaminierung ist äußerst schwierig. Wenn man nicht genau weiß, wo der Stoff ausgebracht wurde, kann es sein, dass trotz aufwendiger Maßnahmen Mengen übrig bleiben, die ausreichen, um Menschen zu verletzen. Für eine Vergiftung reichen wenige Mikrogramm des Wirkstoffs.

STANDARD: Wie werden solche Kampfstoffe gelagert?

Rothbacher: Der konkrete Wirkstoff ist stabil und lange lagerfähig. Binäre Kampfstoffe, die gemischt werden müssen, sind deutlich sicherer in der Handhabung. Im Fall Skripal gehe ich nicht davon aus, dass ein solcher verwendet wurde.

STANDARD: Russische Medien betonen immer wieder, dass beide Tatorte nur weniger als zehn Kilometer vom britischen Chemiewaffenzentrum Porton Down entfernt liegen. Wäre es möglich, dass nach einem Zwischenfall dort Kampfstoffe durch den Wind so weit verbreitet werden?

Rothbacher: Das ist auszuschließen. Diese Kampfstoffart ist nicht flüchtig, geht also kaum in die Gasphase über, das Hauptzielorgan sind nicht die Atemwege.

STANDARD: 1995 wurden in Russland ein Bankier, seine Sekretärin und ein Arzt im Leichenschauhaus mit einem Kampfstoff aus der Nowitschok-Familie vergiftet. Wie wahrscheinlich ist es, dass heutzutage Verbrecher Zugang zu solchen Substanzen haben?

Rothbacher: Die Substanz war bis vor kurzem nur Insidern bekannt und war nicht einmal in der Analytischen Datenbank der Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) zu finden. Die OPCW war also auf diesem Auge blind, bis ein iranisches Labor die Daten zur Verfügung stellte. Wenn man über die notwendigen Informationen und Apparaturen verfügt, kann ein Chemiker geringe Mengen problemlos herstellen. Es ist also nicht erwiesen, dass ausschließlich Russland solche Stoffe herstellen kann.

STANDARD: Ist bekannt, welche Staaten weiter an der Entwicklung solcher Substanzen arbeiten?

Rothbacher: Laut Chemiewaffenkonvention ist es verboten. Ob irgendwelche Labors weiter daran forschen, kann ich bei bestem Willen nicht sagen. Dass die Forschung in Russland nach Inkrafttreten der Konvention 1997 eine gewisse Zeit weitergegangen ist, gilt als erwiesen. (Bert Eder, 5.7.2018)