Bild nicht mehr verfügbar.

Verbundenheit macht leistungsbereit. Aber soll das eine das andere bewirken, dann darf der Mensch in seiner Bedürfnisstruktur über den Ergebniserwartungen nicht aus dem Blick verloren werden, sagt Erich Kirchler.

Foto: Getty Images

Erich Kirchler ist Vorstand des Instituts für Angewandte Psychologie an der Uni Wien.

Foto: Corn

STANDARD: Was heißt "innere Bindung" an einen Betrieb?

Kirchler: Grundsätzlich das Gefühl, da gehöre ich hin, da gehöre ich dazu, da fühle ich mich wohl und zu Hause, da gehe ich jeden Morgen gerne wieder hin. Allerdings müssen wir dieses Gefühl sozusagen von seinen Triebkräften her genauer betrachten. Denn die innere Bindung, wir sprechen heute von Commitment, kann von ihrer Motivlage her sehr unterschiedlich sein. Das heißt, wir müssen drei Spielarten der inneren Bindung auseinanderhalten: kalkulierendes, affektives und normatives Commitment.

STANDARD: Das bedarf der Erklärung ...

Kirchler: Die Bindung an ein Unternehmen kann aufgrund rationalen Kalküls hoch sein. Schätzen beispielsweise Mitarbeiter die Trennung als kostspielig ein, dann verbleiben sie eher in einer Organisation, als wenn die Trennung aufgrund attraktiver Alternativen rechnerisch leichtfällt. Organisationspsychologisch gesehen hängt das Commitment von der Zufriedenheit, den in eine Beziehung getätigten Investitionen und alternativen Chancen ab. Das heißt: Wird die Tätigkeit in einer Organisation als belohnend erlebt und die für diese Tätigkeit aufzubringenden Investitionen sind überschaubar, dann steigt die Zufriedenheit mit der Arbeit und der Organisation. Bietet der Arbeitsmarkt wenige attraktive Alternativen, etwas Besseres zu finden, dann ist der Druck, sich weiter an das Unternehmen zu binden, hoch. Insgesamt steigt das kalkulierende Commitment, wenn Zufriedenheit und Investitionen hoch sind und attraktive Alternativen gering.

STANDARD: Im Gegensatz dazu besagt das affektive, also das gefühlsmäßige Commitment?

Kirchler: Dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter sich aus einem starken inneren Gefühl heraus für den Verbleib im Unternehmen entscheidet, sich mit ihm identifiziert und über diese Identifikation eine hohe Bindung entwickelt. Beim affektiven Commitment fühlen sich Belegschaftsmitglieder emotional an das Unternehmen und dessen Ziele gebunden und entwickeln ein Gefühl der organisationalen Citizenship. Sie empfinden sich als "Verkörperung" des Unternehmens. Die Einzelnen definieren durch die Zugehörigkeit zum Unternehmen ihr soziales Selbstbild und gewinnen daraus ihren Selbstwert. Hohes affektives Commitment wird in der Einstellung zum Unternehmen sichtbar, in der Identifikation mit der Organisation und dem Wunsch, in der Organisation zu verbleiben und nicht nach Alternativen zu suchen. Affektives Commitment kann sich in Sätzen ausdrücken wie: "Ich fühle mich vom Unternehmen und besonders auch von meinem direkten Vorgesetzten fair behandelt" oder "In Zeiten persönlicher Krisen, familiärer Probleme, von Krankheit oder von Todesfällen geht das Unternehmen fürsorglich mit mir um".

STANDARD: Und was ist unter normativer Bindung zu verstehen?

Kirchler: Das Empfinden, dem Unternehmen sozusagen unter einem Werteaspekt verpflichtet zu sein. Wer sich normativ an ein Unternehmen gebunden fühlt, sieht es als Pflicht an, der Organisation treu zu bleiben, und als amoralisch, sich nicht für die Ziele einzusetzen oder gar die Organisation zu verlassen. Dahinter kann beispielsweise die Überzeugung von der Richtigkeit einer Sache oder einer Zielsetzung stehen. Soll heißen: Das Unternehmen folgt einer Vision oder einem Zweck, der für mich Sinn ergibt und mit dem ich mich identifizieren kann. Im Unternehmen werden Werte gelebt, die mit meinen persönlichen Werten übereinstimmen oder vereinbar sind.

STANDARD: Von hoher Bindung profitieren Unternehmen ...

Kirchler: Hohe, insbesondere hohe affektive Bindung fördert Einsatz, Mitdenken und Problemsensibilität. Oder anders ausgedrückt, es fördert die intrinsische Motivation, also die Motivation, aus eigenem Antrieb mitzuziehen, sich für die Organisationsziele einzusetzen. Und das auch über die Regelarbeitszeit hinaus. Das hat auch eine Kehrseite. Kann doch die Work-Life-Balance dadurch bis hin zu Selbstausbeutung in eine Schieflage geraten. Hier ist die Verantwortung der Unternehmensführung für ihre Belegschaft gefragt. Dennoch, die Bindung, das Commitment der Mitarbeiter sollte ein bedeutendes Ziel der Unternehmensführung sein. Korreliert hohe Bindung doch mit innovativem Verhalten, mit geringer Fluktuation und deutlich geringerem Absentismus, hoher Loyalität sowie der damit verbundenen wertschätzenden Kommunikation über die Organisation. Dadurch wirkt die Belegschaft als "Botschafter" des Unternehmens und trägt ein positives Bild des Unternehmens nach außen.

STANDARD: Atypische Arbeitsformen, Digitalisierung, Home-Office – allesamt nicht unbedingt förderlich für Commitment ...

Kirchler: Das sind zweifellos kritische Punkte. Es muss aber vor allem sensibel geführt werden, um die Mitarbeiter an die Organisation zu binden. Und der Führungserfolg hängt sehr von einer differenziellen Führung ab, die den Reifegrad der Mitarbeiter berücksichtigt und darauf Rücksicht nimmt, ob sich Mitarbeiter eine Tätigkeit zutrauen oder nicht und ob sie eine Tätigkeit ausführen können oder nicht. Verbundenheit macht leistungsbereit. Aber soll das eine das andere bewirken, dann darf der Mensch in seiner Bedürfnisstruktur über den Ergebniserwartungen nicht aus dem Blick verloren werden. Die Gleichsetzung eines vitalen und prosperierenden Unternehmens mit einem weitgehend von menschlicher Arbeitskraft entkernten Unternehmen ist beides: Irrtum und Irrweg. (Hartmut Volk, 10.7.2018)