Youtube-Spaßprojekte entwickeln sich zu professionellen Kleinunternehmen. Lisa-Sophie Stejskal und Joanna Zhou (u. re.) von "Cute Life Hacks" erreichen mit DIY-Clips 125 Millionen Views – und verdienen so ihren Lebensunterhalt.

Foto: Der Standard/Youtube/Cute Life Hacks

Die beiden Mädchen veröffentlichen unter dem Namen "Cute Life Hacks" auf Youtube harmlose Bastelvideos. Doch die vermeintlich unbedarften Österreicherinnen haben damit ein höchst erfolgreiches Geschäftsmodell aufgezogen. Zu besichtigen bei der Video Con in Salzburg.

Für eine perfekte Schleimreaktion braucht es Polyvinylalkohol, Natriumborat und etwas Natron. Dann wird der "Slime" glibberig-fluffig, aber formbar. Nur in dieser Konsistenz lässt er sich knautschen, kann man Luftblasen hineinpusten, ihn mit Lebensmittelfarbe oder Glitter vermanschen und kneten.

Das interessiert Sie nicht? Ein Video dazu würden Sie nicht anklicken? Und schon gar nicht Follower des dazugehörigen Youtube-Kanals werden? Dann gehören Sie eben nicht zur Zielgruppe. Aber ehe Sie abschätzig darüber die Nase rümpfen, was heute alles ins Netz gestellt wird, sehen Sie sich doch mal an, wie man mit Schleim und Cleverness ein lukratives Internetbusiness aufziehen kann.

Cute Life Hacks

2,6 Millionen begeistern sich für Life Hacks

Die Österreicherinnen Joanna Zhou und Lisa-Sophie Stejskal haben mit ihren digitalen "Slime"-Bastelanleitungen unter "Cute Life Hacks" eine auf vier Kanäle verteilte Abonnentenschaft von 2,6 Millionen aufgebaut. Damit gehören sie zu den erfolgreichsten Youtubern Österreichs.

Von den Einnahmen aus dem Youtube-Partnerprogramm können sie behaglich leben. Für 1000 Views gibt es einen Euro Werbegeld, bei einer Million 1000 Euro. Im Schnitt stellen Joanna und Lisa zwei Clips pro Woche online, jeder erreicht bis zu 1,8 Millionen Aufrufe. Werbedeals für Produktplatzierungen von Firmen wie Henkel oder Milka werden gesondert ausgedealt und von den Youtuberinnen im Rundum-Sorglos-Paket mit Instagram- und Facebook-Postings verkauft. Aus der Nischenkultur wurde längst eine Branche und damit kommerzieller Mainstream.

DER STANDARD

Dauerfidele Screen-Credibility

"Die Kunden brauchen Reichweite in der jungen Zielgruppe, wir liefern sie über alle Plattformen hinweg." Wenn Joanna von ihrer Arbeit spricht, klingt sie professionell-pragmatisch. Und damit völlig anders, als wenn sie "on brand" ist, wie sie ihre Internetpersona bei Cute Life Hacks nennt.

"Juhuhu, wir sind Joanna und Lisa, und heute zeigen wir euch crazy Giant-Slime-Hacks ..." Wer eine der Cute-Life-Hacks-Folgen auf Youtube sieht, gewinnt den Eindruck, zwei 15-jährige Schminkmädchen bei ihrer rosapinken Bastelstunde im elterlichen Wohnzimmer zu beobachten.

Die unbedarft-fröhliche Plapperei ist Teil des ausgeklügelten Konzepts. In Wahrheit ist Joanna 33 Jahre alt, verheiratet, war früher Grafikdesignerin und hat Manga-Comics illustriert. Freundin und Geschäftspartnerin Lisa ist 28, hat Public Relations studiert, kümmert sich um die Vermarktung und, weil Joanna im realen Leben eher introvertiert ist, um die Fankontakte. Beide haben einen IQ um die 140 und waren in der Schule "unbeliebte Nerds". Vor der Kamera machen sie absichtlich auf naiv.

Zielgruppengerechter Bastelspaß

"Youtube ist unser Beruf, und wir leben von der Masse. Die erreicht man – traurig, aber wahr – nicht mit intellektuellen Inhalten, sondern mit leichter Kost." Etwa mit Videos, in denen Adventkalender ausgepackt werden. "Kinder suchen gezielt bei Youtube nach diesen Clips, weil sie wissen wollen, was im Kalender drin ist – und den mit den besten Goodies von den Eltern fordern. Also musst du diesen Content genau zur richtigen Zeit online haben, damit die Kids ihn finden."

Oder eben "Slime", der in der Zielgruppe der Neun- bis 13-Jährigen ebenfalls ein Riesenhit ist. Wer nun Kommerz-Zeter und Dummie-Mordio schreit, mag aus der Hippieperspektive recht haben, nur: Bei merkantilen Interessen geht es selten um moralischen Kodex. Das ist im Internet der Dinge nicht anders als in der analogen Welt. Um eine treue und damit vermarktbare Fan-Community aufzubauen, muss man wissen, wie sie tickt, und sich ihr anpassen.

Über Bindung entscheiden Sekunden

Dazu kommt das Gespür, wie man sich zur Marke stilisiert, und viel technisches Know-how. Sandra Thier von Diego5 Studios, Veranstalter der Video-Con-Tour, bei der ab 7. Juli die bekanntesten heimischen Youtube-Stars die Hallen in acht Städten für reale Knautschkontakte mit Fans füllen, erklärt: "Heute will jeder zweite Youtube-Star werden. Das hat die Sache professionalisiert. Die Kanäle müssen laufend optimiert werden. Dafür muss man die Marktmechanismen durchschauen, neben Kamera und Schnitt die richtigen Suchbegriffe für Videos kennen und exakt messen, wann und warum ein User abspringt."

Als wichtigste Youtube-Währung gilt die Verweildauer. Zusammen mit der Zahl der Aufrufe bestimmt sie das Ranking der Videos. Und nur wer in den Top-Empfehlungen der Plattform landet, hat Chancen auf Sichtbarkeit und damit Vermarktung. "Es reichen in einem Video oft schon zwei Sekunden, in denen man einen Seher verliert", erklärt Joanna. Etwa wenn eine Nadel bei einer Bastelanleitung nicht in einer fließenden Bewegung, sondern mit kurzem Zögern durch einen Stoff sticht. "Genau diesen Moment muss man rausschneiden, schon bleiben mehr User dran." Das Youtuben ist ebenso fitzelig wie das Nähen.

Die Länge zählt

Weitere No-Gos: schlechte Vorschaubilder (ein erfolgreiches "Thumbnail" zeigt Emotion), unscharfe Bilder, Kamerawackler, mieser Ton. Die Illusion vom sympathischen Homemade Clips erzeugen Joanna und Lisa deshalb mit Profi-Equipment. Vier Full-HD-Kameras, drei Leuchten, vier Stative stehen im ersten Stock von Lisas Haus, wo sie die meisten der zehn bis 20 Minuten langen Clips produzieren.

"Die Länge ist wichtig, die wird vom Algorithmus belohnt." Schließlich will Youtube dem linearen Fernsehen den Rang ablaufen und forciert deshalb längere Formate in den Sucherergebnissen. Um User aber 20 Minuten bei der Stange zu halten, müssen die Youtuber mehr Aufmerksamkeit auf Spannungsbögen und Erzählformate legen. "Wir schreiben Drehbücher für unsere Clips – nicht nur für das, was wir sagen, sondern auch dazu, was wir aus welcher Perspektive filmen."

Trendforschung in Realtime

"Am anstrengendsten ist es aber, immer den neuesten heißen Viral zu liefern", meint Lisa. Schließlich müssen sie ihre DIY-Hacks online anbieten, noch ehe sie überhaupt gesucht werden. "In jeder Schulklasse gibt es das 'cool kid', das den anderen von einem Trend erzählt.

Wenn die Schulkameraden dann googeln, muss unser Video eigentlich schon seit zwei Tagen im Web stehen, um ganz oben in den Suchtreffern angezeigt zu werden." Dafür scannt Joanna laufend den japanischen Youtube-Markt, Lisa den amerikanischen. Taucht ein Trend zeitgleich bei zwei internationalen Influencern auf, bedeutet es auch für die Österreicherinnen: Drehbuch schreiben, Film produzieren. Und natürlich fröhlich kichern. (Nana Siebert, 7.7.2018)